Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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4. Kapitel: In Freibrück

Gegen Abend des nächsten Tages erreichte Andrej die kleine Grenzstadt Freibrück. Nach den nervenaufreibenden, anstrengenden Reisetagen war er froh, endlich an sein Ziel zu kommen.

Die Stadt Freibrück hatte eine hochinteressante Geschichte hinter sich und war bis heute eine der skurillsten Städte des Nordreiches. Einst hatte ein Flüchtling sich auf der Grenzbrücke zwischen dem Gomdland und dem benachbarten Bourbon niedergelassen. Er machte sich die Exterritorialität der Brücke geschickt zu Nutzen, baute quasi zwischen den Ländern seine Hütte und lebte fortan vom Fischfang, während seine Häscher gezwungen waren, rechts und links der Brücke Wachtposten zu errichten. Schnell sprach sich herum, dass man hier Zuflucht vor gomdischer wie bourbonischer Verfolgung finden konnte und so entstand schon bald eine kleine Siedlung – ein ideales Refugium für Flüchtlinge, Verfolgte und Kriminelle. Beiderseits der Brücke hatten sich um die Wachtposten der jeweiligen Länder kleine Städte gebildet, die heute einen Komplex von etwa 2500 Menschen bildeten. Rainald hatte ihm von dieser Stadt erzählt und von den Möglichkeiten geschwärmt, die diese multikulturelle Stadt bieten würde. Nun ja. Rainald hatte wohl andere Ansprüche an eine Stadt als Andrej, der gewisse Bedenken ob der zahlreichen zwielichtigen Gestalten hatte.

Sein Ziel war die Niederlassung des Ordens des Chevillion, die auf der bourbonischen Seite der Brücke lag. Der Paladin durchquerte den gomdischenTeil der Siedlung und erreichte den Wachposten am Anfang der Brücke, der scharf bewacht wurde.
„Was ist Euer Begehr?“ wollte ein Korporal der Wachein scharfem Ton wissen. „Ich möchte zu meinem Orden“, antwortete der junge Paldin und wies zur anderen Seite des Flußes hinüber. Der Korporal blickte Andrej prüfend an und winkte ihn dann durch das Tor. „Seid vorsichtig. Dort drinnen wimmelt es nur so von Halsabschneidern, Dieben und Beutelschneidern!“

Andrej dankte und passierte das Tor. Auf der Brücke empfing ihn eine seltsame Szenerie, die mit keiner anderen Stadt vergleichbar war, die er in seinem noch jungen Leben kennengelernt hatte. Die Brücke war erstaunlich breit und bot an beiden Seiten genügend Platz für eine Reihe schmaler Holzhäuser, die den Weg säumten. Auf der Straße, die Andrej entlangritt, herrschte lebhaftes Treiben.
Jetzt verstand Andrej nur zu gut, warum Rainald begeistert von Freibrück berichtet hatte – ein Strassenkämpfer mußte sich hier wohlfühlen. Es wimmelte von zwielichtigen Gestalten, ein Händler bot Rauschmittel feil und zwei Prostituierte zeigten freizügig ihre Brüste.

Der Paladin versuchte, jegliches Aufsehen zu vermeiden und überquerte die Brücke. „Herr Ritter, ein Almosen bitte!“, wurde er angesprochen. Der Unauffälligkeit wegen ließ er einige Heller zu dem Bettler hinabfallen, der ihn mit unverhohlener Gier anstarrte und dann ein dankbares, lautes Pfeifen von sich gab.
Auf den schrillen Pfiff hin traten zwei schwarzgekleidete Gestalten aus einem nahen Haus und richteten ihre Waffen auf den Paladin, der verzweifelt um sich blickte, aber rundherum in abweisende Gesichter schaute.
Andrej blickte in die drohenden Mündungen zweier Pistolen, die auf seinen Oberkörper zielten. Aus dieser Entfernung konnten er kaum auf einen Fehlschuß hoffen. Er versuchte verzweifelt, Zeit zu gewinnen. „Was wollt ihr? Ihr solltet einem Paladin mehr Respekt entgegen bringen!“
Der ältere der Angreifer, ein hakennasiger Haudegen, der neben der Pistole noch Degen und Stilett zu besitzen schien, lachte amüsiert. „Du bist uns völlig egal, eitler Geck. Gib uns die Depesche und verschwinde dann.“
Andrejs Gedanken rasten. Seine Ehre verbot ihm, die Depesche kampflos herauszugeben. Würde er im Kampf eine Chance haben? Wohl kaum, da seine beiden Gegenüber Pistolen hatten und möglicherweise noch weitere Helfer in den Häusern verborgen waren.

„Wirds bald?“ mischte sich jetzt auch eine zweite, weibliche Stimme ein. Andrej tat so, als würde er die Depesche langsam aus dem Cape ziehen wollen, nahm dabei aber die Frau näher in Augenschein. Sie war wie ihr Begleiter ganz in schwarz gekleidet, trug ein enges, schmuckloses Kostüm und eine schwarze Maske – die typische Arbeitskleidung einer Assasine, einer Attentäterin. Der Stimme nach zu urteilen war sie noch ziemlich jung und, so hoffte Andrej, weniger erfahren und nervenstark als ihr Begleiter.
Als Andrej die Hand ins Cape führte, gab er seinem Pferd die Sporen, um die beiden Assasinen einfach niederzureiten. Eine andere Chance sah er nicht, und vielleicht mochte wenigstens einer der Schüsse fehlgehen.

Die beiden Attentäter reagierten schnell und gewandt. Die Frau ließ sich zur Seite fallen und feuerte ihre Pistole ab. Auch der Hakennasige brachte sich schleunigst aus der Reichweite der Pferdehufe und feuerte auf Andrej. Beide Schüsse trafen den Paladin, der erste an den Rippen links, der zweite am Oberschenkel rechts.
Zum Glück hatten die Assasinen nicht auf sein Roß geschossen. Schmerzen konnte er ertragen, aber ohne Pferd wäre die Situation ausgesprochen unangenehm geworden.
Andrej drückte dem Pferd die Sporen in die Weichen und schoß davon, auf den Wachposten am bourbonischen Brückenende zu. Hinter ihm erschollen hastige Flüche, aber weitere Schüsse blieben zunächst aus. Er galoppierte mit vollem Tempo die schmale Gasse entlang, darauf bedacht, niemanden versehentlich niederzureiten.

Auf einen neuerlichen Pfiff hin beugte sich weiter vorn ein Bogenschütze aus einem Fenster im zweiten Stock eines Hauses und zielte sorgfältig. Andrej machte sich auf dem Pferd so klein wie möglich und hoffte auf seine Schnelligkeit und auf Fortunas Beistand.
Der Pfeil schwirrte von der Sehne und sauste direkt auf den Kopf des Paladins zu und traf den Helm an der Seite, nur Zentimeter von der Visieröffnung entfernt. Hätte der Schütze die Lücke in der Panzerung getroffen, wäre er mit ziemlicher Sicherheit tot gewesen. Andrej schickte ein Stoßgebet nach oben und beschleunigte weiter.

Zu seiner Erleichterung wurde das Tor auf bourbonischer Seite rechtzeitig geöffnet. Er galoppierte hindurch und wandte sich um. Die Torflügel schwangen zu und verbargen den Freibrücker Sündenpfuhl vor neugierigen Blicken. Andrej untersuchte seine Schußverletzungen, fand sie nicht besonders beunruhigend und wandte sich an einen der bourbonischen Torwächter. „Ich suche den Orden des Chevillion.“ Bevor der Torwächter antworten konnte, trat ein Mann in prächtiger Rüstung vor. „Chevillion zum Gruße. Ich bin Rainier, der hiesige Ordensvorsteher. Was kann ich für dich tun, Bruder?“
„Lasst uns zum Orden gehen. Ich habe eine dringende Nachricht für Euch.“ Rainier bedeutete Andrej, ihm zu folgen.

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