Orbis Incognita
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Elfenblut

Gedanken in der Sonne

von Lennart Hintz

1. Kapitel: Gedanken in der Sonne

Entspannt lehnte sich Sirion in seinem bequemen Stuhl zurück und genoß die spätsommerliche Sonne, die auf Nevongards Gildenmarkt niederschien. Zu seinen Füßen ruhte der Jagdhund Twister, ebenfalls die Wärme genießend. Ruhe hatten sie in der Tat nötig, nachdem sie mit einer zusammengewürfelten Abenteurergruppe eine Verschwörung um die hiesige Kaufmannsdynastie Blaudorn aufgedeckt hatten. Obwohl es einige unangenehme Momente gegeben hatte, war Sirion mit dem Ergebnis des Auftrags nicht unzufrieden, da ihm der großzügige Lohn helfen würde, seine Begierde nach edler Kleidung und exotischen Reliquien zu befriedigen. Doch zur Zeit genoß er nur den Augenblick und die Annehmlichkeiten auf der Terrasse des teuren elfischen Restaurants „Zum goldenen Herbst“, was ihn wenigstens kurzfristig die schmerzlichen Gedanken an seine Heimat in den Wäldern des Nordens vergessen ließ.

„Darf ich?“ riß ihn eine glockenreine, wohlklingende Stimme aus seinen Gedanken. Der kleine Jäger blickte auf und direkt in die stahlenden Augen einer schlanken, elegant gekleideten Dame, deren Züge etwas elfisches an sich hatten. Die junge Frau deutete auf den freien Stuhl an Sirions Tisch und setzte sich, noch bevor der Jäger hätte zustimmen können. Trocken gab er zurück: „Scheint so, oder?“ und begann, seine silberbeschlagene Pfeife mit einer exotischen Kräutermischung vom Nachtmarkt zu stopfen.
Obwohl er vorgab, nicht an der Frau interessiert zu sein, entging seinen scharfen Blicken fast nichts. Die Dame hatte etwas Zielstrebiges an sich und schien vor Vitalität zu strotzen. Doch auch der leicht melancholischer Gesichtsausdruck, der ihre ebenmäßigen Züge dann und wann verdunkelte, entging ihm nicht. Sie überflog die Karte, sich die dunklen Haare aus der Stirn streichend und bestellte einen Krug kalten Kräutertee mit Apfelfeuer, eine Spezialität des Hauses.

Unter ihren dichten Haaren kam ein wohlgestaltetes Ohr zum Vorschein, das nach oben hin spitz auslief. Nicht so spitz wie seine eigenen, aber unleugbar elfisch. Plötzlich blickte sie ihm direkt in die Augen: „Bevor ihr fragt: Meine Mutter war Elfin.“ Sirion musterte sie kurz. „Ihr seid nicht durch Zufall hier, oder?“ Mit einem kurzen Nicken wies er auf die anderen Tische auf der Terrasse des Restaurants, die höchstens zur Hälfte besetzt waren. „Ich kann kaum als besonders unterhaltsamer Gesprächspartner durchgehen.“
Bescheiden schlug sie die Augen nieder. „Man hat nicht übertrieben, als man mir Eure Intelligenz beschrieben hat!“ Sie bot ihm aus ihrem Krug etwas von dem Tee an, der mittlerweile serviert worden war. Sirion beäugte das Gebräu misstrauisch und hob das Getränk dann unter die Nase. Der Duft nach Waldkräutern und verschiedenen Baumblüten zog in seine Nase, darunter mischte sich das intensive Aroma des zugegebenen Apfelbrandes, von dessen berauschender Wirkung ihm sein Freund Baldowan erst kürzlich begeistert erzählt hatte. Vorsichtig nahm er einen Schluck und genoß die Kühle des Getränkes, die von einem angenehmen Brennen noch unterstrichen wurde. Fürwahr, das richtige Getränk, um es gemeinsam mit einer attraktiven Halbelfin zu trinken...

„Auch von Eurer Vorsicht und Eurem guten Geschmack hat man mir berichtet.“ fügte die Fremde belustigt an. „Doch keine Angst, ich will Euch nicht vergiften!“ Langsam wurde Sirion misstrauisch. Was wollte die Unbekannte von ihm? Er schaute sie an und fragte: „Kann ich Euch möglicherweise helfen?“ „Ah, ich hatte gehofft, dass ihr das fragen würdet! Auch Eure Hilfsbereitschaft ist mir nicht unbekannt. Kürzlich las ich, dass Ihr eine ganze Diebesbande zur Strecke bringen konntet. Wie gefährlich das doch gewesen sein muß!“
„Wie Ihr sicher auch gelesen habt – abgesehen davon, dass die hiesigen Zeitungen immer schamlos übertreiben – habe ich das nicht allein vollbracht, sondern gemeinsamen mit einigen Freunden. Bitte kommt zur Sache!“
Vertraulich beugte sie sich zu ihm hinüber und legte ihre Hand auf die Seine. „Ich, Milena von Grünband, brauche Eure Hilfe. Mein Mann betrügt mich! Schamlos! Ich kann es nur nicht beweisen.“ Sirion nahm einen Schluck aus seinem Glas und musterte sie etwas genauer.
Ihre Kleidung verriet einen exquisiten Geschmack, ihre Haut wies nicht einen Makel auf und ihre Schönheit wurde durch die schlichte Eleganz der elfischen Gewänder noch betont. „Ehrlich gesagt, ich kann nicht verstehen, warum er Euch betrügen sollte. Außerdem glaube ich kaum, dass ich der Richtige für Euer Anliegen bin – ich bin Jäger und in der Stadt nicht zu Hause, schon gar nicht in dieser! Wendet Euch an einen Dieb oder Strassenkämpfer, der sich hier besser auskennt. Ich könnte Euch eine Freund von mir empfehlen, er hat beste Referenzen...“

„Hört auf! Ich weiß, wen ihr meint. Ihn habe ich schon aufgesucht und kam nicht einmal dazu, ihm mein Anliegen zu erklären. Meinen Namen hatte ich noch nicht ganz ausgesprochen, als er schon einen Arm um meine Schultern legte und mich in das finstere Hinterzimmer des, wie soll ich sagen, Etablissements zu führen versuchte. Widerlich!“
Sirion unterbrach Milena lachend. „Das sieht ihm ähnlich! Aber, mit Verlaub, auch er ist ein Kenner blühender Schönheit. Allerdings kann er sich manchmal nicht an seine guten Manieren erinnern.“ Errötend blickte die junge Frau auf ihre schlanken Finger. „Es wäre besser gewesen, gleich zu Euch zu kommen. Es ist so viel angenehmer, mit Euch zu reden!“
„Das ehrt mich, doch kann ich diesen Auftrag nicht annehmen. Ich gehöre nicht zu den würdelosen Schnüfflern, die sich in anderer Leute Angelegenheiten mischen!“

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