Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Erben des Irrsinns

Auszug aus dem Tagebuch von Rainald, dem Straßenkämpfer

von Lennart Hintz

Nach langer Abwesenheit war ich in meine Geburtsstadt Nevongard zurückgekehrt. Hinter mir lag ein missglücktes Abenteuer in Bourbon, von dem mir nichts geblieben ist als leidliche Kenntnisse der bourbonische Sprache, eine Narbe von einer Kugel, die eigentlich für meinen Herrn bestimmt war und reichlich bourbonischem Straßendreck in meiner Kleidung. Dazu kam das quälende Wissen, die große Liebe meines Lebens gefunden und wieder verloren zu haben. (Mehr dazu in "Abenteuer in Bourbon")

Kurz gesagt, es ging mir wirklich dreckig. Jung und naiv war ich mit der trügerischen Illusion nach Bourbon gegangen, an den dortigen Adelshöfen gut bezahlte Arbeit als Leibwächter reicher Damen zu finden. Geblieben war mir am Ende nichts – außer dem wahrhaft nackten Leben – nachdem mich der greise Gemahl meiner jungen Auftraggeberin in einer verhängnisvollen Situation mit eben derselben erwischt hatte. Mit viel Glück war ich entkommen, nachdem ich mit hatte ansehen müssen, wie der alte bourbonische Herzog meiner süßen Angebeteten mit einem Säbel die Kehle aufgeschlitzt hatte.

Mit letzter Kraft und voller Trauer verließ ich das intrigante Bourbon und kehrte heim, heim nach Nevongard, wo ich dem Elend der Welt im weitläufigen, verruchten Hafenviertel zu entkommen gedachte. Fast wäre dieses Vorhaben schon am Stadttor gescheitert, da die Wachen mich zerlumpte, verlauste Gestalt nicht einlassen wollten. Zu meinem Glück (es ist sehr selten, doch auch mich sucht Fortuna gelegentlich heim) erkannte ich einen der Wächter und konnte ihn an ausstehende Spielschulden erinnern, so dass er mich schließlich passieren lassen musste. Schnurstracks ging ich zu meinem verlassenen Elternhaus (Wo meine Eltern sind, weiß ich nicht, beide dienen als Feldschere in verschiedenen Söldnerheeren), wo ich in einem verborgenen Hohlraum 10 Gulden als eiserne Reserve versteckt hatte.

Mit dem Geld – für mich fast ein Vermögen – machte ich mich auf, um mich im Hafenviertel augiebigst zu amüsieren. Doch schon, als ich in den „Zwei Drachen“ saß, gab es eine Störung. Durch meine alkoholvernebelte Wahrnehmung erreichte mich die salbungsvolle Stimme eines Paladins, die mich als Stadtführer anheuern wollte. Normalerweise rede ich nicht mit einem Paladin, wahrscheinlich habe ich überhaupt nur reagiert, weil der teure soldalische Rotwein, den ich mir zur Feier des Tages (Sicher, es gab eigentlich nichts zu feiern, aber wofür immer nach einem Grund suchen?) genehmigte, meine Willenskraft betäubt hatte. Ich willigte ein, dem Paladin und seinen Begleitern Nevongard zu zeigen und ihnen eventuell einige nützliche Kontakte zu vermitteln. Die Begleiter des Paladins waren übrigens ein kleiner, eleganter Elf mit einem mäßig erzogenen Hund und ein tumber, großer Troll, der einen Zauberstab mit sich herumtrug (eine Trophäe, zweifelsohne...).

Schon nach kurzer Zeit, in der ich meinen drei neuen Bekanntschaften das Hafenviertel gezeigt hatte und ihnen die Vorgehensweise der hiesigen Beutelschneider erklärt hatte, merkte ich, das die drei Fremden recht sympathisch waren.

Plötzlich erscholl aus einer kleinen, dunklen Nebengasse ein leiser Hilfeschrei, der den Paladin wie einen Soldaten strammstehen ließ. Er rannte im Mordstempo los in die Gasse und zog sein Schwert, seine beiden Kollegen sofort hinterher. Ich zögerte einen Moment, weil ich nur ungern gegen meine goldene Regel verstoße, mich erst dann in Gefahr zu begeben, wenn ein Auftraggeber schon bezahlt hat. Andererseits – ein bisschen Ablenkung würde mir nur gut tun, also machte ich die Schleuder schußbereit, die ich gut getarnt als Stirnband um den Kopf trug und stürmte hinterher. In der Gasse hielten zwei Schläger (das typische nichtsnutzige nevongardische Hafengesindel) einen gutgekleideten Mann fest und bedrohten ihn, als der Paladin wie eine Furie dazwischenfuhr und die Angreifer vertrieb. Der Mann – offensichtlich ein reicher Pfeffersack – lag ohnmächtig am Boden, sein Diener hockte wimmernd daneben. Ich verarztete ihn notdürftig und wir brachten die beiden nach Hause in ihr Kaufmannshaus.

Irgendwie hatte dieser nächtliche Zwischenfall uns zusammengeschweißt, so dass wir verabredeten, am nächsten Morgen gemeinsam zu dem Pfeffersack zu gehen und uns nach seinem Wohlergehen zu erkundigen. Eventuell war ja sogar eine Belohnung drin, jedenfalls hatte der Kaufmann Kleidung getragen, die ihn als sehr, sehr reich ausgewiesen hatte – jedenfalls nach meinen Maßstäben.

Der junge Kaufmann - Rudolph Blaudorn - empfing uns sehr zuvorkommend und dankte uns überschwänglich für die geleistete Hilfe. Er erzählte uns dann, dass seine Familie zur Zeit große Probleme hätte. Sein Vater sei für unmündig erklärt worden, weil er mit einem mechanischen Fluggerät (!) geflogen war. Somit sei die Firma zur Zeit ohne offiziellen Inhaber und Blaudorn junior selbst werde wohl nur dann eine Chance haben, Firmenoberhaupt zu werden, wenn er binnen 14 Tagen die Probleme des Kaufmannshauses lösen würde. An dieser Stelle kamen wir ins Spiel: Er bot uns tatsächlich Arbeit als Leibwächter und Ermittler an, 5 Gulden die Woche plus Spesen, dazu 50 Gulden Prämie, falls wir die Probleme der Firma lösen könnten. Wir nahmen natürlich an. Diese Bezahlung war geradezu fürstlich! Meine Abenteuer im Hafenviertel konnten warten, mir war eine Ablenkung ebenso gelegen wie die andere, so lange ich nur nicht an meine schändlich niedergemeuchelte Angebetete denken musste.

Blaudorn junior erläuterte uns die besonderen Probleme, die in der Firma aufgetreten waren. Zunächst sollten wir das verschwundene Hauptbuch wiederbeschaffen, dann die Weindiebstähle im Lagerhaus unterbinden und nicht zuletzt den Streik im firmeneigenen Bergwerk beenden. Wir werden sehen.

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