Nach einiger Zeit erreichte Andrej die erste Poststation, wo Pferde zum Wechseln bereitgehalten wurden. Mithilfe dieser Wechselstationen erreichte die gomdische Post erstaunliche Tagesstrecken und konnte die Sendungen in beeindruckender Geschwindigkeit befördern – wenn die faulen Angestellten denn wollten.
Andrej stieg ab und gab seinem Roß zu saufen und sorgte dafür, dass es etwas zu fressen bekam. Der Stationsvorsteher brachte kaum ein Wort über die Lippen und war so abweisend, der Paladin ihm nur zu gerne andere Manieren beigebracht hätte. Die Poststation wirkte insgesamt viel ruhiger als üblich, aber Andrej wollte ohnehin nur schnell weiterkommen. Auf einen Pferdewechsel, zu dem ihn seine Papiere vom Orden des Chevillion berechtigt hätten, verzichtete er. Sicherlich hätte er mit einem frischen Pferd schneller reiten können, doch bevorzugte er sein gut ausgebildetes, zuverlässiges Kriegsroß.
Gegen abend veränderte sich die Landschaft zusehends. Nahe Nevongard war Andrej zumeist über Kulturland geritten und hatte viele kleine Dörfer, Weiler und Gehöfte passiert. Mit zunehmender Entfernung zum Gomdtal wurde die Landschaft hügeliger und waldiger. Der Paladin ritt an einem verlassenen Gasthaus vorbei, dessen Fensterhöhlen dunklen Löchern glichen. Der Garten des Gasthauses war völlig zugewuchert, die Obstbäume mit dichten Flechten überzogen.
Andrej wusste, das dieser Teil des Gomdlandes zu den ärmeren Gegenden zählte, doch war er selbst noch nie hier gewesen. Als der Paladin einen dichten Wald erreichte, zog leichter Nebel auf und er begann zu frösteln. Der Wald lag einsam und verlassen rechts und links der Reichsstrasse, die hier in gutem Zustand war.
Im Wald schien ein Käuzchen zu rufen, doch wurden die Geräusche vom Nebel und der aufziehenden Dunkelheit verschluckt. Instinktiv blickte Andrej über die Schulter. Hinter ihm lag die leere Reichsstrasse. Er spornte sein Pferd an und wünschte, bald ein Gasthaus oder die nächste Poststation zu erreichen.
Ein leises, rythmisches Pochen ließ ihn aufhorchen. Die Geräusche schienen von hinten zu kommen, doch war das nicht genau festzustellen. War hinter ihm ein weiterer Reiter? Das war unwahrscheinlich, da er scharfes Tempo geritten war und kaum ein Pferd sein Tempo längere Zeit halten konnte. Handelte es sich um Räuber? Kaum, da die meisten Banditen zu Fuß operierten und sich nicht an gepanzerte Ritter wagten.
Andrej ließ sein Pferd anhalten und lauschte. Jetzt konnte er deutlich hören, dass sich mindestens ein Reiter näherte. Er versuchte, den Nebel mit seinen Blicken zu durchdringen und wünschte sich, über die scharfen Sinne seines Freundes Sirion zu verfügen. Wer war so spät noch unterwegs? Andrej schalt sich selbst, Angst zu empfinden. Sicher handelte es sich nur um Reisende, die schnell den nächsten Gasthof erreichen wollten, oder etwa nicht?
Aus dem zunehmenden Dunkel tauchten zwei Gestalten auf großen, stämmigen Pferden auf, die in scharfem Trab ritten. Irgendetwas machte den jungen Paladin mißtrauisch. Er drückte seinem Pferd die Sporen tief in die Seite, beugte sich über den starken Hals des Tieres und galoppierte davon.
Neben ihm schlug ein Bolzen durch das dichte Geäst des Waldes, ein weiterer prallte mit großer Wucht gegen seine schwer gepanzerte Schulter. Das Pferd steigerte die Geschwindigkeit, konnte die Verfolger aber nicht abschütteln. Wer könnte einen Grund haben, Andrej zu jagen und töten zu wollen? Konnte das mit Balding zu tun haben? Das schien dann doch zu weit hergeholt, obwohl der Paladin sicher war, dass Balding eine kräftige Steuernachzahlung würde leisten müssen.
Die beiden Gestalten verringerten ihren Rückstand allmählich. Verzweifelt versuchte Andrej, sein Pferd zu größerer Geschwindigkeit anzutreiben, doch nach einem ganzen Tagesritt war die Erschöpfung zu groß. Der Paladin hoffte nur, im Dunkel des Waldes ein möglichst schlechtes Ziel abzugeben.
Zwei weitere Bolzen zischten von hinten heran. Das eine Geschoß sauste an Roß und Reiter vorbei, ohne Schaden anzurichten, das andere bohrte sich tief in den Sattel. Andrej hätte nichts gegen einen fairen, ritterlichen Kampf einzuwenden gehabt, doch hier ging es auch um die sichere Auslieferung der Depesche. Außerdem bezweifelte er, ob seine Gegener auf einen fairen Kampf aus waren.
Er überlegte fieberhaft, wie er seinen Verfolgern entkommen könnte. In den Wald abbiegen? Das würde bedeuten, das Pferd zurückzulassen und zu Fuß zu fliehen. Undenkbar. Sich zum Kampf stellen? Darauf würde es irgendwann hinauslaufen, wenn nicht ein Wunder geschah.
Bei einem Verfolger hätte er nicht gezögert, sein Schwert Blut schmecken zu lassen, doch im Dunkel gegen zwei unbekannte Gegner zu bestehen, war etwas anderes.
Die nächsten beiden Bolzen sausten aus dem Dunkel heran. Einer zischte an Andrejs rechter Kopfseite vorbei, der zweite schlug mit lautem Knall gegen seinen Rücken, richtete aber dank der guten Panzerung keinen großen Schaden an. Die Gegner schossen sich ein. Jetzt gab Andrej dem Pferd die Peitsche. Die nächste Poststation konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein und würde ihm hoffentlich Schutz bieten.
Endlich sah er hinter einer Biegung des Weges ein schwaches Licht auftauchen. Die Poststation! Plötzlich traf einer der Bolzen das Pferd des Paladins am hinteren Bein. Das Roß stieg laut wiehernd und warf den Reiter ab. Andrej rollte blitzschnell ab und suchte Deckung hinter einem Baum, um weiteren Bolzen zu entgehen. Aus dem Dunkel tauchten zwei schemenhafte Gestalten auf, die in matt schimmernde Kettenhemden gehüllt waren. Sie hatten ihre Armbrüste zu Boden gelegt und ihre Pferde zurückgelassen.
Sie näherten sich dem Paladin mit gezogenen Schwertern, als einer der beiden zu sprechen begann: „Gib auf, dann wirst du überleben. Sonst wird dein Körper hier im Wald verrotten.“
Andrej machte sich nicht einmal die Mühe, auf diese Aufforderung zu antworten. Er zog sein Breitschwert, machte seinen Schild bereit und kalkulierte nüchtern seine Chancen.
Seine Gegner kämpften mit großen, gefährlichen Zweihandschwertern und kamen zielstrebig und zuversichtlich auf ihn zu. Andrej trat einen Schritt zurück, um einen großen Baum hinter sich zu haben und flüsterte ein kurzes Stoßgebet.
Der erste Gegner drang stürmisch auf ihn ein und setzte einen mächtigen Schlag, der Andrejs Breitschwert bei der Parade erzittern ließ. Der zweite Gegner, der einen häßlichen Schmiß auf der rechten Wange hatte, hielt sich zunächst zurück und murmelte etwas, das Andrej nicht verstehen konnte. Der Paladin versuchte, ruhig und konzentriert zu kämpfen, um die Stärken und Schwächen seines Gegners einschätzen zu können.
Plötzlich drang auch der zweite Gegner mit bläulich leuchtender Klinge auf ihn ein. Andrej schluckte schwer. Eine Frostklinge! Ein Treffer mit diesem magischen Zweihänder würde verheerenden Schaden anrichten.
Der zweite Gegner erwies sich als gefährlicher, agressiver Kämpfer. Er täuschte einmal, täuschte ein zweites Mal und ließ dann die bläulich schimmernde Klinge auf Andrejs Schildarm niedersausen. Zum Glück hielt die Panzerung stand, doch der magische Frostschaden kühlte die Rüstung und den Arm gewaltig ab, so dass der linke Arm sich taub anfühlte.
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