3. Kapitel: Irrungen und Wirrungen
Andrej saß an einem Tisch des „Goldenen Herbstes“ und wartete gemeinsam mit Sirion und einem weiteren Begleiter auf die Frau mit dem bourbonischen Akzent. Während die drei ein leichtes Frühstück zu sich nahmen, besprachen sie ihr Vorhaben und verständigten sich über einige Details.
Wenig später erschien die Frau wie am Vorabend an ihrem Tisch und setzte sich auf den freien Platz.
„Ihr seid bereit?“ „Unglücklicherweise bin ich aufgrund eines wichtigen Auftrages meines Ordens unabkömmlich“, erwiderte der junge Paladin mit ausgesuchter Höflichkeit. „Um ihnen behilflich zu sein, habe ich ihnen einen anderen Boten gesucht, einen, der als ausgesprochen zuverlässig und verschwiegen gilt. Er wies auf den dritten Mann, der am Tisch Platz genommen hatte.
Dieser war von eher durchschnittlichem, aber drahtigem Körperbau und hatte auffallend dunkle Haare und Augen. Seine Kleidung war alltäglich, fast schäbig, und um den Hals trug er eine Finsterelfenkapuze, die er in einem Kampf sicher als leichten Kopfschutz benutzen würde. Von besonders guter Qualität waren lediglich das Kurzschwert, das lässig an seinem Gürtel baumelte und die schwarzen Stiefel. Vervollständigt wurde der etwas zwielichtige Eindruck durch den stoppeligen Dreitagebart und einen leichten Geruch nach billigem Wein und Schweiß.
„Rainald, zu ihren Diensten“, stellte sich der Mann vor. „Dieses Subjekt soll vertrauenswürdig sein? Ich wollte Euch für diesen Auftrag, mein lieber Herr Paladin!“
Andrej lächelte bedauernd und entschuldigte sich erneut. „Meine Verpflichtung dem Orden des Chevillion ist für mich heilig. Deshalb kann ich Euch zu meinem Bedauern nicht selbst helfen. Ich verbürge mich bei meiner Ehre für die Zuverlässigkeit Rainalds.“ Im Geiste betete Andrej, dass Rainald während des Auftrags keine billige Kneipe und keine billigen Huren finden würde. In diesem Falle wäre es nämlich sicher um Rainalds Zuverlässigkeit und die Ehre des Paladins.
„Nun gut. Ich verlasse mich auf euer Urteil und respektiere eure heilige Verpflichtung.“ Mit diesen Worten ließ sie das bekannte Päckchen und ein kleines Geldsäckchen auf dem Tisch zurück und wandte sich zum Gehen. Andrej nickte Rainald zu, der das Päckchen gelangweilt ins Cape steckte, das Geldsäckchen achtlos im Ärmel verschwinden ließ und sich zum Gehen wandte.
Andrej verabschiedete sich von Sirion und machte sich auf den Weg zum Kontor der Baldings, wo er Friedbert wie üblich in seinen Papieren vergraben vorfand. Die beiden arbeiteten unermüdlich und entschlossen weiter, um endlich einen dicken Beweis zu finden und hatten das Gefühl, kurz vor einem Durchbruch zu stehen. Der Durchbruch blieb allerdings aus, vorerst jedenfalls.
Zwei Tage später wurde Andrej in aller Herrgottsfrühe von seinem Mentor Gregorian geweckt. Gregorian begann ohne viel Umschweife, mit dem Paladin zu reden. „Ich habe zwei Nachrichten für dich. Erstens: Ich bin mit dir zufrieden. Ich habe die Hoffnung, das du endlich Selbstbeherrschung lernen wirst. Zweites: Dein Auftrag bei Balding ist beendet. Ich brauche Dich als Boten. Dringend.“
Andrejs müdes Hirn arbeitete wie verrückt. „Aber wir sind bei Balding noch lange nicht fertig. Ich kann Friedbert nicht allein lassen.“ Gregorian lächelte. „Deine Einstellung ehrt dich, aber du bist der Einzige, den ich auf diesen Botengang schicken kann. Ich selbst werde Friedbert helfen, so gut es meine Zeit zulässt.“
„Wo soll ich denn hinreiten?“, fragte Andrej. „Du reitest nach Freibrück, das liegt an der Grenze nach Bourbon, und überbringst dem Statthalter diese Dokumente. Es ist wichtig.“
Die Dokumente sahen ähnlich unscheinbar aus wie das merkwürdige Päckchen, das Rainald gerade nach Goldfurt brachte. Andrej überdachte die Situation. „Gregorian, bitte lasst bei Balding vorsicht walten. Ich habe ein schlechtes Gefühl.“ Gregorian lächelte milde. „Eine Revision ist immer langweilig, meistens langwierig, aber nie gefährlich. Sorge dich nicht, mein Junge.“
Andrej verstand nicht, was hier vorging. Er war so überrascht, dass er nicht einmal bemerkte, dass Gregorian ihn wieder einmal „Junge“ genannt hatte. „Worauf wartest Du noch? Diese Dokumente sind wichtig!“ Andrej nickte und begann, seine Rüstung und seine Waffen anzulegen. Seine große Kraft erlaubte ihm, einen kompletten Plattenpanzer zu tragen, der im Kampf hervorragenden Schutz bot. Die silbrig glänzende, teure Rüstung ergänzte er mit einem Vollhelm, der vor nahezu jedem Treffer schützte.
Der junge Paladin bevorzugte diese Ausrüstung, mit der er auch in größeren Kämpfen gute Chancen hatte, unverwundet oder nur mit leichten Blessuren davonzukommen. Er vervollständigte seine Ausrüstung mit Breitschwert und Schild, versah sich in der Küche des Ordens mit Proviant und Wasser und verließ die Stadt.
An der Stadtmauer hatte er das seltsame Gefühl, beobachtet zu werden, doch als er seinem Schlachtroß die Sporen gab und der Wind in sein Visier wehte, genoß er die vorbeiziehende Landschaft und ließ den Gedanken freien Lauf.
Noch vor vier, fünf Tagen hätte er jeden Auftrag begrüßt, doch nun hatte er das Gefühl, von den Geschehnissen im Hause Balding ferngehalten zu werden. Nun ja. Ändern konnte er ohnehin nichts, was sollte er also unnötige Gedanken verschwenden?
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