2. Kapitel: Von den Tücken einer Revision
Am nächsten Morgen fand sich Andrej pünktlich vor dem Lager der Baldings ein und wartete auf den Schreiber. Friedbert entpuppte sich als typischer Bücherwurm, klein, glatzköpfig und mit Monokel. Normalerweise hätte Andrej einem Stadtschreiber kaum einen Blick gewürdigt, aber bei allem Ärger wollte er um jeden Preis vermeiden, Gregorian zu verärgern. So machte er gute Miene zum bösen Spiel und begrüßte den kleinen Stadtangestellten, der mit einem sarkastischen „Morgen, Junge“, antwortete. Andrejs Selbstbeherrschung wurde ob dieser Respektlosigkeit auf eine harte Probe gestellt, doch vergaß er seinen Ärger schnell, als ihnen die Tür zum Kontor von einem hochnäsigen Verwalter geöffnet wurde.
Obwohl Balding laut „Gomdischer Postille“ nicht zu den fünf größten Kaufmannsdynastien Nevongards gehörte, war das Innere des Kontors aufs Prächtigste ausgestattet. Dicke Teppiche aus edler Wolle bedeckten den Boden, geschmackvolle Gemälde prangten an den Wänden und goldene Leuchter hingen von der Decke der Eingangshalle herab. Andrej nickte anerkennend. Wenn er schon arbeiten musste, dann war diese Umgebung nahezu ideal.
„Folgt mir“, sagte der arrogante Verwalter und ging tiefer in das Kontor hinein, das vor Geschäftigkeit nur so brodelte. „Dort ist Euer Büro“, fügte der Bedienstete hinzu und wandte sich sofort wieder ab. Friedbert und Andrej betraten einen kleinen kahlen Raum, der lediglich zwei Stehpulte beherbergte. Ein Fenster gab es nicht. Andrej seufzte leise. „Sie wollen uns die Revision so unangenehm wie möglich machen. Alles Taktik, Junge.“ sagte Friedbert. „Nenn mich nie wieder „Junge“, explodierte Andrej und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass ihm die Schmerzen bis in die Schulter schossen.
Friedbert zuckte ungerührt die Achseln und begann mit stoischer Ruhe, die Listen durchzusehen. Bei einer solchen Revision galt es vor Allem, Differenzen zwischen der eingereichten Steuererklärung und dem tatsächlich vorhandenen Vermögen zu finden. Ein erfahrener Revisor wie Friedbert konnte Steuerhinterziehung beinahe schon riechen und kannte sich mit den Tricks der Branche bestens aus.
„Gut, fangen wir mit den offensichtlichen Sachen an. Vielleicht könntest du Baldings Exporterlöse überprüfen?“
Für Andrej war es äußerst unangenehm, in dem kleinen, fensterlosen Raum zu hocken und ellenlange Listen zu überprüfen. Friedbert hingegen war ein Beispiel an Selbstbeherrschung und vertiefte sich in seine Nachforschungen, schien tatsächlich sogar Spaß daran zu finden.
Nach einigen nicht enden wollenden, eintönigen Tagen merkte Andrej, dass auch hier, in diesem kleinen Raum ein Kampf, ja eine Schlacht, ausgefochten wurde. Auf der einen Seite stand der mysteriöse Kaufmann Balding, der nie selbst in Erscheinung trat, auf der anderen Seite der städtische Steuereintreiber Friedbert.
Die Waffen des Einen waren eine große Zahl von Untergebenen, zahlreiche unübersichtliche Pergamentrollen und offene Arroganz, während der Andere seine Geduld, seine Ausdauer und seinen Scharfsinn einsetzte. Schon bald lernte Andrej den kleinen Friedbart schätzen. Er kannte sich in juristischen Angelegenheiten aus und wußte sein Wissen weiterzuvermitteln.
Andrej half, so gut er konnte und arbeitete sich durch einen dicken Wust von Export- und Importverzeichnissen. Balding schien nur geringen Umsatz zu haben. Der Kaufmann gab an, Werkzeuge und Baumaterialien aus Nevongard zu exportieren und wertvolle Stoffe aus Bourbon zu importieren. Durchaus übliche Handelsgüter, doch reichten Baldings offizielle Umsätze nicht aus, um den Reichtum im Kontor zu erklären.
„Ich glaube, ich habe etwas gefunden!“ Friedbert hatte eine offensichtliche Unregelmäßigkeit aufgespürt. Bei einer Lieferung Stoff aus Freibrück waren viel mehr Fuhrwerke eingesetzt worden, als für die Stoffmenge notwendig gewesen wäre. Lieferant war ein gewisser Louis Vutton. „Werden wir Balding jetzt verhören?“ wollte Andrej wissen und stellte sich vor, dem Kaufmann genüßlich das Schwert an die Kehle zu setzen und ihn auszuhorchen. „Oh nein, damit werden wir noch warten. Wenn wir ihn mit dieser Kleinigkeit konfrontieren, wird er sie mit Leichtigkeit verwischen können. Wir verfolgen die Spur Louis Vutton und graben tiefer im Haus des Pfeffersacks!“
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