Der Paladin spazierte durch die bunten Straßen der Stadt und ließ sich einfach in der Menschenmenge treiben. Es überraschte ihn nicht sonderlich, als ihn seine Schritte an den Hafen der Stadt führten. Nevongard lag nicht am offenen Meer, verfügte aber über den größten Flußhafen, den Andrej in seinem noch jungen Leben zu Gesicht bekommen hatte. Er passierte die lange Reihe von Lagerhäusern, die den Hafen säumten und dachte an ihren Blaudorn-Auftrag zurück. Nicht weit von hier hatten sie die gemeine Falle des Anwaltes Dr. Sebastian Seggel entlarvt, der ein ganzes Boot mitsamt der darauf feiernden Gesellschaft in die Luft sprengen wollte. Natürlich war ihm das nicht gelungen...
Andrejs Blick schweifte über den Hafen und blieb an der kleinen Gestalt eines Händlers hängen, der sich vor einem der Lagerhäuser genau drei Dingen widmete. Mit großer Aufmerksamkeit unterhielt er sich mit einer gutaussehenden jungen Frau, möglicherweise einer Kundin, mit nicht weniger großer Hingabe widmete er sich seinem fast leeren Weinhumpen und gelegentlich warf er einen Blick auf die Liste, deren Abgleich seine eigentliche Aufgabe zu sein schien.
Andrej wartete geduldig, bis der Händler die Frau – tatsächlich eine Kundin – bedient hatte und begrüßte ihn dann freundlich. Wie er selbst kam sein Gegenüber nicht aus Nevongard, nicht einmal aus dem Gomdland, sondern von den nebelverhangenen albionischen Inseln. Trotz ihrer verschiedenen Charaktere verstanden die beiden jungen Männer sich gut, möglicherweise auch, weil der junge, blonde Bendix wesentlich offener auftrat als Andrej.
Bendix bot dem Paladin fröhlich grinsend einen Becher Wein an, den Andrej gern akzeptierte. „Du arbeitest noch immer für Blaudorn, Bendix?“ wollte Andrej wissen.
„Er hat mir angeboten, wieder ein wenig Ordnung in den Weinhandel zu bringen.“ Bendix wies auf die Listen die sein Pult bedeckten. Er zuckte mit den Achseln. „Ist nicht allzu schwer, bringt aber gutes Geld...“ Andrej beachtete die Papiere nicht sonderlich, dachte aber, dass diese Arbeit das richtige für den jungen Albioner sein könnte. „Willst Du nicht auch hier anfangen? Du kannst immerhin lesen, und Blaudorn braucht zur Zeit gute, vertrauenswürdige Männer, die den Laden wieder in Schwung bringen.“
„Ich? Ich soll arbeiten? Und dann auch noch in einem Lagerhaus? Nein danke, außerdem werde ich vom Orden gebraucht!“
„Ah, das blaue Blut und die Arbeit, ich vergaß...“ Bendix schenkte sich noch einen Becher Wein ein und studierte die Papiere die vor ihm lagen.
Andrej verabschiedete sich von seinem Freund und stellte fest, dass es höchste Zeit war, Gregorian aufzusuchen. Er hoffte nur, dass sein Mentor ihn nicht zu sehr ob seiner Unbedachtsamkeit beim Übungskampf rügen würde. Tja, auch die Welt des blauen Blutes hatte ihre Nachteile...
Wenig später trat der Paladin seinem Mentor gegenüber, der in seiner Kammer einige Dokumente durchsah. Gregorian ging überhaupt nicht mehr auf ihren Kampf ein, sondern bedeutete dem Jüngling, sich zu setzen.
„Der Stadtrat hat unsere Hilfe angefordert. Es gibt Probleme bei der Überprüfung des Kaufmannes Heinrich Balding, der möglicherweise Steuern hinterzogen hat.“ Andrej sah ihn verständnislos an. „Steuerprüfung? Was hat das mit uns zu tun? Dafür ist doch die Stadtverwaltung zuständig, oder nicht?“
Gregorian blickte seinen Schützling an. „Normalerweise ja, allerdings gibt es in diesem Fall Probleme, weil der Kaufmann gute Verbindungen zum Adel unterhält und sich weigert, einen normalen Stadtverwalter zu empfangen. Um Aufsehen zu vermeiden, hat mich der Rat um Hilfe gebeten – und da kommst du ins Spiel. Du wirst ab morgen bis auf weiteres dem Stadtschreiber Friedbert bei seiner Revision helfen.“
Für Andrej brach die Welt zusammen. Er hatte von heldenhaften Kämpfen geträumt, davon, mit dem Schwert die Welt zu retten, aber nicht, sich durch ein staubiges Büro zu wühlen. „Aber...“ „Es gibt kein aber. Konzentriere Dich auf deine neue Aufgabe.“ Mit einem strengen Blick und einem kurzen Wink entließ Gregorian seinen jungen Schützling, dessen Hand sich um den Schwertgriff zusammenkrampfte. Dieser Auftrag war eine absolute Katastrophe, fast so schlimm, wie einer Reisegesellschaft aus ältlichen Matronen Geleitschutz zu geben. Er hoffte nur, dass ihn keiner seiner Freunde bei dieser unwürdigen Arbeit sehen würde...
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