Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Zollinspektor Maisenhaupt hatte bei einer großen Razzia versucht, möglichst viele Kahnfahrer des Schmuggels zu überführen, um im Hafen für Ordnung zu sorgen. Das war ihm - zum Teil - auch gelungen, allerdings hatte Bendix seinen guten Ruf genutzt, um einigen Männern zu helfen. Er hatte sich vor einem Richter für einige der Bootfahrer verbürgt und versichert, dass sie in Zukunft nicht mehr vom rechten Weg abkommen würden. Einerseits hatten ihm die armen Schlucker und ihre Familien leid getan, andererseits hatte er schon lange nach einer Gelegenheit gesucht, gute Kontakte aufzubauen.
Jetzt konnte und wollte er diese Verbindungen nutzen. "Also, was ist? Kannst du dich ein wenig umhören und mir dann berichten?" "Sicher. Kostet Geld. Für Bestechung, für Lokalrunden. Bin leider blank." Bendix hätte ohne Zögern zehn Gulden gewettet,dass der Alte eine ganze Menge Geld auf seinem Kahn versteckt hatte, aber er wollte den Bogen nicht überspannen. So zählte er dem Alten zehn Silbertaler in die schwielige Hand und seufzte. "Wenn du etwas weißt, berichtest du mir. Komm in mein Kontor." Als der Alte nicht reagierte, sprang Bendix achselzuckend an Land und suchte nach einem Lokal, um den süßlich-schleimigen Fischgeruch wegzuspülen.

In einem anderen Teil der Stadt blickte Baldowan Flammenfaust aus dem Fenster seines Arbeitsraumes, den ihm die Magiergilde zur Verfügung gestellt hatte. Just an diesem Morgen hatte er drei neue Rituale gewirkt, die ihm bei der Entwicklung eines doppelten Feuerzaubers helfen sollten, doch leider waren zwei der Rituale fehlgeschlagen. Baldowan war sich noch immer nicht sicher, ob die von ihm entwickelten Rituale schlicht falsch waren, oder ob ihm das nötige Geschick fehlte. Er rieb sich die müden Augen und blickte aus dem Fenster. Da er sich im dritten Stockwerk befand, konnte er weit über die Unterstadt blicken. Das auffälligste Gebäude in seinem Blickfeld war das alte Lyceum, indem die Kinder der reichsten Bürger unterrichtet wurden. Wie schön es doch wäre, noch einmal die Schulbank zu drücken, ohne Sorgen zu haben...

Im Lyceum saß - zu eben dieser Zeit - der Direktor Rupert von Broithen an seinem eleganten Schreibtisch aus polierter Steineiche. Die edle, glatte Oberfläche war so sauber, dass man die Spiegelungen der teuren Gemälde erkennen konnte, die an den Wänden seines großzügig eingerichteten Büros aufgehängt waren. Rupert paffte seine exklusive Zigarre und achtete sorgfältig darauf, den Schreibtisch nicht mit Asche zu verschmutzen, während er die Examen der Primaner mit wenig mehr als mildem Interesse durchblätterte. Schließlich handelte es sich bei dem Schreibtisch um ein altes Familienerbstück der von Broithens.
Direkt neben seiner ledernen Schreibunterlage sah er normalerweise die Spiegelungen der drei Gemälde, die an der linken Seitenwand des Büros hingen. Auch heute waren die Werke eines alten soldalischen Meisters eine Wohltat für seine Augen, doch schweren Herzens wandte er sich wieder den Examen und der Frage nach der Bewertung der Arbeiten zu. Welche der reichen, nichtsnutzigen Kaufmannssöhne sollte er durchfallen lassen? Diese Frage zu beantworten fiel ihm von Jahr zu Jahr schwerer. Plötzlich wirkte der vertraute Anblick der Schreibtischplatte verändert.
Schockiert schrie Rupert auf, als er bemerkte, dass sich nur zwei Gemälde in der Schreibtischplatte spiegelten. Sein Blick flog nach links, wo sich seine tiefsten Befürchtungen bewahrheiteten: Das teuerste der Bilder, für das andere Sammler mit Freuden 1.500 Gulden bezahlt hätten, war verschwunden. Rupert stürzte nach rechts, zum Fenster, das nur angelehnt war und beugte sich hinaus. Unten auf der Straßesah er nichts als das übliche Treiben. Er schrie noch lauter, schockiert und verzweifelt, als ein stechender Schmerz seinen linken Arm und die linke Brustseite durchzuckte.
Zitternd lehnte er sich aus dem Fenster, während das Stechen immer stärker wurde. Langsam neigte sich der schwere Körper des Direktors über die Fensterbank, bis die Gesetze der Schwerkraft den Körper hinabzogen. Rupert von Broithens Körper, geschwächt von vielen Jahren der Dekadenz, hatte dem Schock nicht widerstehen können und fiel aus dem Fenster, um wenig später auf dem Straßenpflaster aufzuschlagen, die Augen weit aufgerissen und leer. Wenig später konnte der eilig herbeigerufene Medicus Vitus nur noch den Tod des alten Schuldirektors feststellen.
Im Büro erinnerte nur ein heller, rechteckiger Fleck an der Wand an das verschwundene Gemälde, doch die Ermittler der Stadtwache fanden keine Hinweise auf einen Dieb. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört, niemand hatte einen Eindringling bemerkt. Lediglich eine Person hatte überhaupt etwas bemerkt, wurde allerdings von der Stadtwache nicht befragt. Diese Person war Baldowan Flammenfaust. Der Trollmagier hatte zum Zeitpunkt von Ruperts Tod aus dem Fenster der Magiergilde geblickt und eine schwache, magische Aktivität gespürt, allerdings ohne eine Verbindung zu dem Todesfall zu ziehen, zumal er den Fall des Körpers nicht mehr bemerkt hatte.
Am nächsten Tage saßen die Freunde Baldowan, Andrej, Sirion und Rainald im "Savoir Vivre" und genossen eine üppige Brotzeit. Sie wollten sich beraten, wie sie bei der Suche nach Blaudorns verschwundenem Schmuckstück weiter vorgehen wollten. Nur Bendix fehlte noch, so dass sie sich zunächst mit gesundem Appetit über ihr Essen hermachten.
Erst eine halbe Stunde später erschien der junge Albioner und ließ sich schwer in den letzten freien Korbsessel am Tisch fallen. "Und, wo warst du so lange? Eine neue Liebschaft?" Rainalds anzügliche Frage beantwortete Bendix mit einem bösen Blick und einem bissigen Kommentar. "Bin mit der Kontormiete in Verzug und musste mit dem Gläubiger verhandeln. Er hat mir eine Woche Aufschub gewährt, aber dann sind 10 Gulden fällig."
Zwischen Verärgerung und Verzweiflung schwankend stürzte Bendix einen Krug Ale hinunter und seufzte. "Es wäre gut, wenn wir Blaudorns Schmuckstück finden würden, um die Prämie einzuheimsen..." Doch auch nach längerer Beratung hatte keiner der Freunde eine Idee. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als auf die Ergebnisse von Bendix´ Erkundigungen zu warten und auf eine neue Spur zu hoffen. Die Haarspange, die Sirion gefunden hatte, gehörte nämlich Frau Blaudorn selbst.

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