2. Kapitel: Gesetze und Konzessionen Bendix näherte sich nun dem Gildenmarkt, wo auch die Brauereigilde ihr Hauptquartier hatte. Dort wollte er versuchen, die fehlende Konzession zu erhalten, um größerer Verluste zu vermeiden. Die traditionsreiche Gilde hatte ihre Räumlichkeiten schon seit über 100 Jahren in einem großen, repräsentativen Fachwerkbau, der in bester Lage an den zentralen Gildenmarkt grenzte. Auffällig waren die kunstvoll und teuer gearbeiteten Fenster, die in der Morgensonne blitzten. Bendix nickte beifällig und trat näher, um dann den schweren Klopfer gegen die massive Türe aus Steineiche fallen zu lassen.
Amalie Zinkenstein war jedes Gramm ihres beträchtlichen Gewichtes in Gold wert, zumindest, wenn man den Gildenvorstand Bertram von Wolters nach seiner Sekretärin fragte. Amalie kannte das umfangreiche Gesetzeswerk der Gilde auswendig und scheute sich nicht, auch hochrangige Personen abzuwimmeln, einzuschüchtern oder lange warten zu lassen. Bertram war ihr zutiefst dankbar, weil sie ihm ermöglichte, die Ruhe seines Büros zu genießen und bei einem guten Bier an einer langatmigen Abhandlung über das gomdische Brauereiwesen zu schreiben. Er hatte vor, eines Tages seinen Namen durch die Veröffentlichung für die Nachwelt unsterblich zu machen. Manchmal allerdings überlegte Bertram, ob er Amalie nicht aufs Altenteil abschieben sollte, um an ihrer Stelle eine jüngere, hübschere Sekretärin einzustellen, die ihn über die Launen seiner Ehefrau Rinalda hinwegtrösten könnte...
Amalie nahm es mit ihren Aufgaben und den Aufträgen ihres Chefs sehr genau, und wer sich ihr Wohlwollen nicht durch Hartnäckigkeit und Höflichkeit schwer erkämpfte, konnte unter Umständen lange Tage wartend auf einem hölzernen Stuhl im Korridor vor ihrem Büro verbringen, wartend natürlich. Auf ein Klopfen an der Tür reagierte Amalie mit einem unwirschen Grunzen, das man möglicherweise als "Herein" hätte interpretieren können. Zögernd öffnete sich die Tür und ein junger, blonder Mann in Händlerkleidung schob sich in den Raum und grüßte freundlich, aber mit unverkennbar albionischem Akzent. Sofort mußte Amalie an ihren verstorbenen, albionischen Ehemann Ned denken, der seinen Akzent nie abgelegt hatte, bis er sich schließlich durch eine Überdosis Brandy selbst ins Grab gebracht hatte. Amalie hatte ihn gehaßt. Er hatte sie geschlagen und mißhandelt. "Wir haben geschlossen", keifte sie und wandte sich wieder ihren Unterlagen zu.
Offenbar hörte der Besucher schlecht, denn er machte keine Anstalten den Raum zu verlassen. "Verstehst du nicht? Es ist geschlossen, und zwar bis nächste Woche." Doch noch immer blieb der Händler in ihrem Büro und musterte den Schreibtisch. "Ich brauche eine Konzession von der Gilde, ja die brauche ich." Amalie seufzte. Er war hartnäckiger als die meisten anderen. Sie setzte ihre unfreundlichste Miene auf und ließ dann ihre Standardabfuhr von Stapel. "Der Herr Vorstand ist nicht anwesend, und nur er kann die Konzessionen vergeben. Leider kommt er erst in", sie konsultierte den absolut leeren Terminkalender, "zehn Tagen wieder nach Nevongard. Er findet sicher in, nun, 14 Tagen, ein wenig Zeit für Euch."
Bendix stöhnte vernehmlich auf, machte aber keine Anstalten, den Raum zu verlassen. Solche Probleme kannte er aus seiner albionischen Heimat zur Genüge, aber das war nichts, was man nicht mit einem kleinen Trinkgeld beheben konnte. Er zog seine Börse aus der Tasche und legte 20 Silbertaler auf Amalies Schreibtisch, ohne sie dabei anzusehen. Erst ihr schockiertes Aufstöhnen ließ ihn den Blick anheben. Ihr Gesichtsausdruck war unverkennbar, offenbar hatte er das Trinkgeld zu klein bemessen. Nun gut. Er zuckte mit den Schultern und schob weitere 20 Silbertaler über den Tisch, so dass nun ein ansehnlicher Haufen vor Amalies spitzer Nase lag. Sie schnaubte entrüstet auf, fegte das Geld mit einer Handbewegung von der polierten Schreibtischplatte und keifte laut: "Das ist absolut unverzeihlich! Ich bin doch kein bestechliches Flittchen! Raus!" Bendix blieb keine Wahl, als seine Taler zusammenzuklauben und das Büro unverrichteter Dinge zu verlassen.
Zurück auf dem sonnendurchfluteten Gildenmarkt erinnerte er sich an einen schönen Spruch seines Freundes Baldowan Flammenfaust: "Wenn nichts mehr hilft, hilft ein Bier!" Diesen nahm er sich zu Herzen und ließ sich in der erstbesten Kneipe auf einen der unbequemen Holzstühle fallen, um seine mißliche Lage zu überdenken. Wenn er nicht bald einen Abnehmer für sein Ale fand, würde er seinen Handel nicht so schnell in Schwung bringen können, da die Fässer das gesamte Kontor und damit seine Handelsmöglichkeiten blockierten. Außerdem brauchte er schließlich Geld, um seinen Lebensstil zu finanzieren und die Miete für das kleine Kontor zu bezahlen, sonst würde er womöglich noch nach Arbeit suchen müssen!
Nicht weit entfernt rieb sich Baldowan Flammenfaust die müden, roten Augen und beugte sich dichter an das alte Zauberbuch, das er aus der Bibliothek der Magiergilde Nevongards geliehen hatte. In schwer verständlichem tideonisch hatte ein unbekannter Magier dort vor hunderten von Jahren seine Ansichten über die Abwandlung und Verbesserung von Kampfzaubern festgehalten. Allerdings waren Teile des uralten Folianten kaum noch leserlich, so dass Baldowan nur mit Mühe auf den Inhalt schließen konnte, ganz zu schweigen davon, die Hinweise des Verfassers womöglich praktisch umzusetzen.
Der Troll schüttelte bedächtig den Kopf und überflog den Inhalt der letzten Seiten erneut. Um sein Ziel, einen doppelten Feuerstrahl wirken zu können, zu erreichen, würde er weitere Versuche durchführen und dabei zahlreiche Rituale probieren müssen. Das war überhaupt nicht gut, überlegte Baldowan, denn jedes Ritual verbrauchte sündhaft teure Ritualmaterialien. Natürlich konnte man bei der Qualität dieser Waren sparen, doch konnte man im Falle eines Mißerfolgs dann nie sicher sein, ob der Zauber nicht funktionierte oder ob schlicht das verwendete Material zu schlecht gewesen war. Baldowan griff nach dem tönernen Krug, der auf seinem Stehpult bereit stand und nahm einen tiefen, erfrischenden Zug. Im Geiste überschlug er nochmals den Inhalt seiner Geldbörse, eine Tätigkeit, die nicht allzu lange dauerte, weil sein Geld derzeit sehr knapp war. Das Leben in Nevongard war einfach viel zu teuer, insbesondere, wenn man einen heldengerechten Lebensstil bevorzugte und teure alkoholische Getränke liebte. Womöglich würde er bald seine Dienste als Mietmagier anbieten müssen... Nach einem weiteren tiefen Zug aus dem Krug schweiften Baldowans Gedanken in die Vergangenheit ab, flogen Bilder vor seinem inneren Auge vorbei, bis er schließlich sich selbst sah, mit einer Hand an einer Mauer hängend und nur wenige Ellen vom legendären Schattenmantel entfernt. Der Wert dieses Artefakts allein würde ihm mindestens zwei sorgenfreie Jahre ermöglichen, die er ganz der Forschung widmen könnte...
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