Rainald spähte in diesem Moment durch die vergitterte Öffnung seiner Zellentür und wartete ungeduldig, das der Wächter endlich auftauchen würde. Der kleine Brandsatz, den er mit Baldowans Hilfe vorbereitet hatte, lag auf dem Gang vor den Zellen und strömte dicken Qualm aus, der das Atmen langsam zu erschweren begann.
Baldowan hatte ihm einen kleinen Feuerbeutel in den Besucherraum geschmuggelt, mit dem sich ein winziges magisches Feuer entfachen ließ. Die anschließende Durchsuchung war derart lasch gewesen, dass Rainald vermutlich ein Langschwert in die Zelle hätte bringen können, ohne dass es bemerkt worden wäre. Zurück in seiner Zelle hatte er dann mithilfe eines Teils der Bettdecke einen hübschen, kleinen Brandsatz gebastelt. Um die Brenndauer zu verlängern, hatte er das Ganze noch mit Schnaps getränkt, den er von seinem Zellennachbarn gegen einige Silbertaler eingetauscht hatte.
Nun brannte das Ganze hübsch qualmend vor sich hin und sorgte für dichten Rauch vor den Zellen. "Wollt ihr uns verbrennen lassen? Hilfe, Hilfe!" schrie der Strassenkämpfer und legte viel mehr Panik in seine Schreie, als er eigentlich verspürte. Jetzt vielen auch die anderen Gefangenen - insgesamt sechs an der Zahl - in seine Schreie ein und sorgten für eine gewaltige Geräuschkulisse.
Endlich kam Olaf den Gang entlang und begann, die Türen mit zittrigen Händen aufzuschließen. Wenn der junge Bengel nur nicht merken würde, dass aller Rauch von einem kleinen Brandsatz ausging... Jetzt stürmte der erste Gefangene, ein kleiner, drahtiger Taschendieb mit einem flüchtigen Gruß an Rainald auf den Lippen von dannen. Als nächstes war die Zelle des Strassenkämpfers an der Reihe. Der junge Wächter fummelte mit zittrigen Fingern am Schloß herum und brauchte lange, bis der Schlüssel endlich steckte. Unterdessen beobachtete Rainald unruhig seinen improvisierten Brandsatz, der immer weniger Rauch verströmte und auszugehen drohte.
"He Junge, brauchst du bei deiner Kleinen auch immer so lange?", lenkte Rainald mit einem obszönen Spruch ab, der von den anderen Gefangenen mit lautem Gegröle quittiert wurde. Endlich sprang das Schloß auf und entließ den Insassen der Zelle in die Freiheit. Der Strassenkämpfer sprang geschwind auf den Gang und ließ die verschränkten Hände mit aller Kraft auf Olafs Nacken niederkrachen, der soeben den Brandsatz bemerkt hatte. Der junge Wächter sackte leblos zusammen, während Rainald eine flüchtige Entschuldigung murmelte und den Schlüsselbund an sich nahm.
Er begann unter dem Applaus der anderen Gefangenen, nach und nach die Türen aufzusperren und trat schließlich sorgfältig den schwelenden Brandsatz aus. Die übrigen Insassen nahmen die Beine in die Hand und vergeudeten keine unnötige Sekunde im Gefängnis.
Rainald ließ es etwas langsamer angehen und folgte dem Gefangenen, der in das Lagerhaus eingebrochen war und der natürlich das Ziel ihrer ganzen Aktion war. Kurz vor dem Hauptausgang versperrte plötzlich eine große, im Zwielicht fast riesenhaft anmutende, Gestalt den Weg und fällte den Fliehenden mit einem mächtigen Faustschlag. Eine große, leicht behaarte Hand schmettere den nichtsahnenden Mann zu Boden, wo er röchelnd zusammensackte. Rainald trat dazu und gratulierte Baldowan. "Dein Plan hat wunderbar funktioniert! Leider sind die ganzen anderen Kriminellen auch entkommen, aber...." Er zuckte die Achseln. "Das ist nicht unser Problem, sondern geschieht dem dämlichen Hermanis ganz recht!"
Baldowan warf sich den Ohnmächtigen locker über die Schulter und die drei Freunde marschierten durch die dunklen Gassen Nevongards davon. Hinter ihnen im Stadtgefängnis brach das Chaos los, bis endlich einer der Soldaten die Situation erfasste und den Alarm auslöste.
Rainald warf einen Blick zurück und murmelte schaudernd: "Nie wieder Gitter vor den Fenstern!" Wenig später schüttete Alicia im dunkelsten Kellerraum des "Savoir Vivre" einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf ihres unglücklichen Gefangenen aus, der an einen steilen, hölzernen Lehnstuhl gefesselt war. Der ohnmächtige Mann zuckte zunächst mehrmals, bevor er dann mühsam die Augenlider anhob, um die Umgebung zu betrachten.
Vor ihm standen Baldowan, Rainald, Bendix und Alicia, die allesamt finstere Gesichter machten, wenn auch Rainald nebenbei damit beschäftigt war, Alicias schlanke Gestalt mit neugierigen Blicken abzutasten. Jetzt trat Baldowan vor und betrachtete den Gefangenen genauer. Er war von mittlerer Größe und ziemlich durchschnittlicher Figur, einzig ein großer, silberner Ring am linken Ohr fiel ins Auge. Mitten im Gesicht prangte eine rot-blutige, matschige Masse, die wohl ehemals seine Nase gewesen sein musste.
Obwohl Baldowan nicht im Geringsten das Gefühl hatte, sich entschuldigen zu müssen, trat er vor und sagte leise: "Leider war es notwendig, dich nach der Befreiung aus dem Gefängnis ersteinmal mitzunehmen. Bedauerlicherweise musste ich ein wenig Gewalt anwenden. Wie lautet Dein Name?"
Der Gefangene spuckte einen üppigen Blutschwall auf den Boden, dem wenig später ein gelblich zerfressener Zahn folgte. "Lasst mich frei! Ich habe Euch nichts getan!" Nun trat Rainald vor und packte den Mann wenig rücksichtsvoll am ohnehin schmerzenden Unterkiefer. "Du hast mich ins Gefängnis gebracht, und zwar völlig zu unrecht!" Bei diesen Worten knirschte er bösartig mit den Zähnen und spielte mit der linken Hand am Griff seines Reservekurzschwertes, dass Bendix ihm aus dem Quartier mitgebracht hatte. "Dein Name!" "Ich heissen Pavel", stotterte der ehemalige Gefängnisinsasse. "Was hattest Du neulich Nacht in Jean-Claudes Lagerhaus vor? Wer war Dein Begleiter?" Pavel erbleichte ein wenig, blieb aber stur. "Ich nichts wissen. Habe Auftrag bekommen, dort einbrechen. Mehr nicht. Sollte holen Sachen für .... Markt zu Hause."
Rainald blickte kurz zu Baldowan, zog dann seinen silbernen Totschläger aus der Innentasche der Weste und fragte Pavel: "Du weißt, was passiert, wenn ich damit" ,er wies auf den Totschläger, "deine Visage bearbeite?" Pavel erbleichte noch mehr "Ich nichts wissen. Nur Auftrag!" Rainald holte aus und setzte zu einem brutalen Schlag an, der Pavels Gesicht endgültig und dauerhaft in blutigen Brei verwandeln würde. Dieser kreischte auf - und atmete dann pfeifend durch, als Rainalds Faust direkt neben ihm in die Sandsteinwand schlug und dort eine tiefe Delle hinterließ. Alicia war dem Strassenkämpfer im letzten Moment in den Arm gefallen und hatte so eine schlimme Verletzung verhindert. Rainald schäumte. "Er hat mich in den Knast gebracht, das schreit nach Rache!" Alicia funkelte ihn an. "Keine Gewalt. Nicht hier. Verstanden?" Rainald funkelte zurück und ergötzte sich dabei insgeheim an Alicias hübschem, zornesroten Gesicht. In just diesem Moment rief von draußen eine Stimme nach Alicia. Die Straßenkämpferin funkelte Rainald nochmals böse an und verließ dann den Raum.
Baldowan trat vor und nickte Rainald dann kurz zu. "Du hast ein paar Minuten Zeit, um Dich zu rächen! Aber schlag nur an Stellen, die man nicht sehen kann, sonst wird sie", er wies mit dem Daumen auf die Türe, durch die Alicia verschwunden war, "ziemlich unangenehm". Rainald nickte bösartig, rückte den Totschläger zurecht, holte zu einem weiten Schwinger aus, als Pavel schrill stöhnte: "Ich sagen alles, sagen alles, nicht schlagen!" Rainald bremste sich im letzten Moment, innerlich erleichtert, so dass der Totschläger knapp vor Pavels Gesicht vorbeizischte.
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