Baldowan nahm Platz und wartete gespannt, was der kleine Bourbone zu sagen hatte. Der kam gleich zur Sache. "Ihr seid in eine heiße Sache geraten, bei der äußerste Vorsicht geboten ist. Jean-Claude, der Besitzer des Lagerhauses, hat zwei Identitäten. Nach außen ist er respektabler Tuchhändler, aber eigentlich ist er einer der Köpfe einer bourbonischen Loge, die illegal Rauschmittel nach Nevongard transportiert. Kannst du mir folgen?" "Sicher, ich bin ein Troll, aber nicht blöd!", grunzte Baldowan pikiert. Dass diese Menschen Trolle immer automatisch für blöd halten mussten!
"Bis vor kurzem hatte Jean-Claude hier in Nevongard das alleinige Monopol, doch seit einiger Zeit drängen einige zwielichtige Gestalten aus den Fürstentümern mit ihrem minderwertigen, aber billigen Stoff auf den Markt und drücken die Preise. Irgendwann haben Jean-Claudes Männer - zwei Assassinen - einige der neuen Hehler unschädlich gemacht, um das Monopol nicht zu verlieren. Kurze Zeit war es dann ruhig, doch hörten meine Kontaktmänner, dass die Fürstentümler auf Rache sinnen. Angeblich hatte Jean-Claude seine Vorräte im Tuchlager versteckt, das ihm zur Tarnung dient..."
Baldowans Gedanken rasten. Zwei konkurrierende Gangsterbanden, die sich den Handel mit Rauschmitteln streitig machten, das konnte einiges erklären. Offenbar war Rainald mehr oder weniger zufällig in diese Geschichte geraten, als er die Arbeit als Sicherheitschef angenommen hatte und wenig später musste sein Kumpel Markus dann dran glauben. Plötzlich durchfuhr ihn ein Schreck. Gauner aus den Fürstentümern? Gehörte womöglich auch Mirkov, der Kopfgeldjäger, dem Bendix gerade nachspürte, zu den skrupellosen Mördern? Dann war Bendix vielleicht in großer Gefahr!
Bevor er Malice fragen konnte, schob sich die junge Wächterin durch die Tür und murmelte ihrem Vater etwas ins Ohr, warf Baldowan einen bedauernden Blick zu und verschwand lautlos wieder nach draußen. Malice blickte auf. "Schlechte Nachrichten. Scheint, als ob euer albionischer Freund gerade eine unerfreuliche Diskussion mit Mirkov hatte. Sie sind im "Schwarzen Drachen" am Nachtmarkt.
Baldowan sprang auf. Er musste dem Freund helfen, soviel stand fest. Malice packte ihn beschwichtigend am Arm. "Ruhig Blut. Leider kann ich keine Männer entbehren, weil sich auch hier Spione aus den Fürstentümern herumdrücken, doch meine Tochter wird dich hinführen und dir auch helfen. Sie ist gut," fügte er noch hinzu, als er Baldowans skeptischen Blick bemerkte.
Bendix spürte, wie ihm im Schein der Fackeln der Schweiß von der Stirn troff und den Nasenrücken hinunterlief. Die anderen Gäste im "Schwarzen Drachen" taten im besten Fall unbeteiligt, die meisten aber bedachten Mirkov, den Kopfgeldjäger, der ihn mit einem unschönen Messer bedrohte, mit aufmunterndem Kopfnicken. Eine schöne Schlägerei wurde hier als willkommene Abwechslung angesehen, und wer nicht für sich selbst sorgen konnte, hatte eben Pech gehabt und kam dem Reich der Toten einen Schritt näher.
Der Albioner straffte sich, als Mirkov mit erhobener Klinge auf ihn zutrat und blickte den Kopfgeldjäger offen an. "Auf mich ist kein Kopfgeld ausgesetzt, ich muß dich leider enttäuschen". Mirkov grunzte und strich sich die grauen, zotteligen Haare, die ihm zusammen mit dem Vollbart das Aussehen eines alten Wolfes gaben, aus dem Gesicht und trat näher. "Warum du schnüffeln hinter mir, Händler?" Bendix trat einen Schritt zurück und spürte einen massiven Holzpfosten hinter sich.
"Ich schnüffle nicht. Ich....", er zögerte und entschied dann, es mit einer dreisten Lüge zu versuchen, "...suche einen erfahrenen Kopfgeldjäger, der einen meiner Schuldner festsetzt." Er unterstrich seine Worte mit einem freundlichen Lächeln, während er unauffällig das Stilett in seinem linken Ärmel zu lockern versuchte. Mirkov brach in schallendes Gelächter aus und blickte beifallsheischend zu seinen drei Spießgesellen hinüber, üblen Schlägertypen, die ausgeschwärmt waren, um Bendix jeden Fluchtgedanken auszutreiben. "Warum du mich nicht einfach gefragt, Händler? Hast du gefragt alle Leute auf ganze Nachtmarkt nach meine Gewohnheiten!"
Bendix spielte auf Zeit. "Nun, ich brauche einen vertrauenswürdigen, zuverlässigen Kopfgeldjäger, deshalb habe ich einige Erkundigungen angestellt. Es geht um viel Geld!" Bei dem Wort "Geld" blitzte es gefährlich in Mirkovs stahlgrauen Augen und er wechselte einige Worte mit einem seiner Schläger, allerdings in einer Sprache, die Bendix nicht verstand. "Bedauerlicherweise, Händler, sagen Freunde was anderes. Du Schnüffler!" Mit diesen Worten sprang er, gefolgt von seiner Truppe, auf Bendix zu und schwang sein Messer, während der Rest der Bande Knüppel, Schlagstöcke und Totschläger hervorzauberte.
Der Albioner zog sein Stilett und trat den Angreifern tapfer entgegen, doch plötzlich ging alles verdammt schnell. Mirkov trat ihm das Stilett mit seinem beschlagenen Kampfstiefel aus der Hand und landete einen brutalen Schwinger unter die Rippen, der Bendix Atem pfeifend entweichen ließ. Er wehrte sich seinerseits mit einigen Tritten, doch schon bald hatten die übrigen Schläger ihn an den Holzpfosten gebunden. Mirkov näherte sich mit erhobenem Messer. Bendix konnte Schmutz und Blutreste auf der dünnen, rostigen Klinge erkennen und verfluchte seine mangelnde Vorsicht. Vielleicht hatte er doch zu offensichtliche Fragen gestellt? Nun, wahrscheinlich hatte Mirkov hier am Nachtmarkt beste Verbindungen.... Bendix schluckte.
"Du gehören zu Jean-Claudes Leuten?", setzte Mirkov seine Befragung fort. Bendix Gedanken rasten. Wieso sollte er selbst zu Jean-Claudes Leuten gehören? "Jean-Claude? Der Tuchhändler?" Mirkovs Gesicht lief rot an. "Du wisse genau, wen ich meine, Lügner. Ich dir reissen deine schmutzige albionische Zunge raus, wenn du nicht antworten!" Mit diesen Worten rammte er sein Messer nur Millimeter neben Bendix´ Wange in den Holzpfosten und schlug ihm mit der anderen Hand brutal ins Gesicht, so dass Blut auf den Dielenboden spritzte. Bendix sah rote Kreise und wußte nicht, wie ihm geschah.
In genau diesem Moment wurde die Tür brutal eingetreten und eine breite Gestalt verdunkelte den Türrahmen. Trotz seines benebelten Hirns fragte sich Bendix, warum die Tür eingetreten worden war, schließlich gab es keinen Grund, die Tür einer Kneipe tagsüber abzuschließen. Allerdings kannte er jemanden, der es liebte, Türen einzutreten. Voller Hoffnung hob er den Blick gerade rechtzeitig, um Baldowan mit äußerst finsterem Blick durch die Tür kommen zu sehen.
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