Gerade als Baldowan nochmals auf den anderen Gefangenen zu sprechen kommen wollte, stürmte einer der Stadtwächter herein und scheuchte sie hastig hinaus. Rainald zuckte ergeben mit dem Kopf, nickte seinen Freunden dankbar zu und folgte dem Wächter dann zurück in die Zelle.
Baldowan rückte seine blaue Magierrobe in einem vergeblichen Versuch, respektabler auszusehen, zurecht und begab sich in das Büro des Wachhabenden. Dort fand er Hauptmann Hermanis, der in der vergangenen Nacht den Einsatz geleitet hatte, über einen Becher Wein gebeugt vor.
"Herr Hauptmann?" Der Stadtwächter blickte mit rötlich geäderten Augen auf und knurrte eine Begrüßung der weniger freundlichen Art. "Es geht um meinen Freund Rainald, den ihr - zu Unrecht, wie ich leider sagen muß - hier festgesetzt habt." Jetzt blickte der Hauptmann träge auf und ließ einen Schluck Wein genießerisch seine Kehle hinunter laufen. Bendix nickte im Hintergrund bekräftigend. Da bisher noch kein Widerspruch gekommen war, fuhr Baldowan optimistisch fort, über die Ungerechtigkeit der Verhaftung zu schwadronieren. Es gäbe ja, so schloß er, keine Beweise, die es rechtfertigen würden, einen ehrbaren Bürger wie Rainald (Er kreuzte unter dem Tisch seine dicken Finger, während er dies sagte) hier festzuhalten. Bendix nickte noch immer anerkennend und bewundernd ob der rechtswissenschaftlich fundierten Ausführungen des Trolls. Heisse Luft zwar nur, aber durchaus beeindruckend!
Nun bequemte sich der Hermanis zu einer Antwort. "Ich habe ihn über die Leiche gebeugt gefunden, mit blutüberströmtem Schwert neben sich. Zudem hat uns ein versierter Anatom versichert, dass die tödliche Wunde des Verstorbenen von einem Kurzschwert gleich diesem", er wies mit dem Daumen auf ein Kurzschwert, das auf einer Anrichte lag, "stammen muß".
"Es ist ja nicht so, dass Kurzschwerter besonders selten wären, oder?", gab Baldowan sarkastisch zurück, während Bendix von seinen bekräftigenden Kopfbewegungen schon fast Krämpfe bekam. Jetzt stand der Hauptmann von seinem Stuhl auf und richtete sich zu seiner ganzen, im Vergleich zu Baldowan allerdings wenig beeindruckenden Größe auf. "Der Anatom versicherte mir, dass er aufgrund der Art der Wunde erkennen könne, dass sie tatsächlich von eben dieser Klinge stammt. Und nun verschwinde, häßlicher Troll, und nimm den albionischen Nichtsnutz mit!" Baldowan zuckte zusammen, als er diese Beleidigung hörte. Sicher, er war keine Schönheit, aber das von dem ignoranten Hermanis ins Gesicht gesagt zu bekommen, war schon ein starkes Stück. Er zählte innerlich bis zehn, versuchte sich selbst zu beruhigen, freute sich, als ihm das nicht gelang und packte den Hauptmann am Kragen. Baldowan bohrte seinen Blick in die blutunterlaufenen Augen des Stadtwächters, hob ihn mit einer Hand lässig an und quetschte ihn einen guten Meter über dem Boden an den rauen Putz der Wand. Der Hauptmann zappelte und wand sich, konnte aber nichts gegen die enorme Körperkraft des großen Trolles ausrichten.
"Bürschchen, hüte deine Zunge! Sonst könnte es passieren, das deine bemitleidenswerte Frau, wenn du denn eine haben solltest, eines schönen Morgens neben einem hübschen Aschehaufen aufwacht!" Der Hauptmann wimmerte vor sich hin, rief aber nicht nach der Wache, wahrscheinlich weil ihm die Situation zu peinlich war. "Bendix, ist das wirklich Rainalds Schwert?", wollte Baldowan wissen. Der Albioner ging zur Anrichte und beäugte das Corpus Delicti. Das Kurzschwert war von ehemals guter Qualität, hatte einige häßliche Scharten und wies einige obszön-häßliche Verzierungen am Griff auf. Bendix nickte und ging dann zum Schreibtisch des Hauptmannes. Das Schwert gehörte Rainald, soviel war sicher.
Baldowan entschloß sich, dem Stadtwächter noch ein wenig Angst einzujagen und presste ihn noch etwas fester an die Wand. "Wann kommt Oberst Siegfried zurück nach Nevongard?" Hermanis, zwischen Wand und 125 Kilo Troll eingequetscht, berichtete, dass Siegfried erst in etwa zwei Wochen zurückkommen würde. Er befasste sich zur Zeit gemeinsam mit einem jungen Paladin mit einer Bande bourbonischer Rauschharzschmuggler.
Der Magier hatte genug von der Stadtwache und wandte sich zur Tür, ohne den Hauptmann weiter zu beachten. Dieser rutschte die Wand hinunter und blieb röchelnd auf dem Boden liegen. Baldowan und Bendix verließen das Gefängnis und spazierten gemächlich zum belebten Gildenmarkt. "Was nun?", wollte Bendix wissen. Baldowan grunzte missmutig und wies mit dem Kinn auf das Schild einer Taverne, das im leichten Herbstwind hin- und herschaukelte. "Woher wusste ich das nur?", murmelte Bendix leise und ließ sich ergeben auf einer der Bänke vor der Taverne nieder. Baldowan hatte es irgendwie fertiggebracht, die Aufmerksamkeit der völlig überarbeiteten jungen Bedienung auf sich zu ziehen, bevor er sich hingesetzt hatte, so dass ein großer Krug süffigen Landweins in Rekordzeit vor ihnen stand. Der Troll schien großen Durst zu haben oder aber besonders erregt zu sein, denn er nahm sich nicht die Zeit, den Wein in die bereitstehenden Humpen zu gießen, sondern setzte den Krug direkt an seine fleischigen Lippen.
"Glaubst du, Rainald hat ihn wirklich umgebracht?" Baldowan hielt es nicht für nötig, diese Frage mit mehr als einem Kopfschütteln zu beantworten. Bendix, der nun seinerseits ein kleines Ale bestellt hatte, versuchte die ganze Geschichte für sich zusammenzufassen, konnte aber keine Lösung finden. "Wir brauchen ein Motiv! Wer könnte Interesse daran haben, Markus umzubringen oder in das Lager einzubrechen?" Baldowan nickte. Diese Frage beschäftigte ihn auch. "Pass auf, am Besten, wir teilen uns. Ich stelle in der Magiergilde einige Nachforschungen an, während du erst den Anatomen der Stadtwache und dann diesen Mirkov überprüfst. Wir treffen uns später im `Savoir Vivre´ und holen unsere Infos ab Was meinst du?"
Bendix war einverstanden und zog los, um den Anatomen und anschließend Mirkov aufzuspüren. Der Troll blieb noch ein wenig sitzen, um seine Gedanken zu ordnen und leerte einen weiteren Krug Landwein, bis ein angenehm verschwommenes Gefühl sein Hirn erfüllte.
|