Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Bendix nickte dankend und begann, ihren Gefangenen zu durchsuchen. Schnell förderte er einige interessante Dinge zu Tage, die belegten, das der Bewußtlose sein Brot wohl als Dieb, Einbrecher und Fassadenkletterer verdiente. Neben Dietrich und Kletterhaken verfügte er über einen kleinen Spiegel, den Baldowan als eine Hälfte eines magischen Doppelspiegels identifizieren konnte. Momentan war der Spiegel allerdings schwarz. Das konnte zwei Dinge bedeuten: Entweder, das Pendant befand sich im Dunkeln oder das Artefakt war beschädigt.
Schließlich förderte Bendix aus dem Stiefel des Diebes noch ein kurzes, geschwärztes Stilett hervor, dessen Spitze bläulich schimmerte. Handelte es sich bei der bläulichen Substanz womöglich um ein gefährliches, womöglich tödliches Kontaktgift? Gifte waren im Nordreich von offizieller Seite verboten, was aber allerlei Zwielichtiges Gesindel nicht davon abhielt, es dennoch zu verwenden. Dieser Mann war also kein Unschuldslamm, soviel stand fest!
Baldowan warf sich die jämmerliche Gestalt wie einen lästigen Kartoffelsack über die Schulter und stapfte dann bedächtig zurück zum Lagerhaus. Bendix betrachtete die kleine, einschüssige Pistole und sandte ein Stoßgebet zu den Göttern. Aus dieser kurzen Entfernung hätte der Schuß des kleinen Diebes durchaus tödlich sein können. Er beschloß spontan, in den kommenden Wochen den einen oder anderen Gulden an die Mondkirche zu spenden.

Am Lagerhaus erleuchteten einige Sturmlaternen der nevongardischen Stadtwache eine Szenerie, die den beiden Freunden gar nicht gefiel. Etwa zehn Soldaten der Stadtwache rannten ziellos umher, drei weitere, unter ihnen der Hauptmann, hielten Rainald fest, der das Kinn trotzig erhoben hatte. "Lasst mich los, ihr Idioten! Ich bin hier der Sicherheitschef!" "Du bist ein Mörder", gab der Hauptmann zurück und wies in den Straßenstaub, wo Rainalds blutiges Schwert neben einer Leiche lag. "Nehmt ihn mit, und dann ab in den Kerker!". Der Strassenkämpfer protestierte lautstark und wand sich fast aus dem Griff seiner beiden Bewacher. "Er war mein Freund! Ich habe ihn gefunden, nicht getötet, ihr Tölpel!" Der Hauptmann erblasste angesichts dieser Wortwahl und schickte Rainald mit dem Knauf seines Schwertes ins Reich der Träume.

"Was wollt ihr denn hier?" fuhr er Bendix und Baldowan wütend an. "Verschwindet, ihr heruntergekommenen Säufer!". Bendix zog seine gute Händlerkleidung glatt und bemühte sich um ein würdevolles Aussehen. "Wir bringen den wahren Mörder. Rainald ist unschuldig, das können wir mit unserem guten Ruf bezeugen. Aber wie heißt ihr, wenn ich mir die Frage erlauben darf?" Einige der Wächter zuckten zusammen, als sie den Namen Rainald hörten, sie hatten von seinem Ruf als guter Kämpfer und einigen seiner Heldentaten gehört. Einzig der Hauptmann blieb gelassen, fast arrogant und spuckte verächtlich neben dem bewußtlosen Rainald in den Straßenstaub. "Wir haben ihn auf frischer Tat ertappt, das blutige Schwert noch in der Hand. Im übrigen: Hauptmann Hermanis mein Name, Herr Hauptmann für dich! Und ihn", er wies auf den bewußtlosen Rainald, abführen!"
"Aber seht doch, er hat versucht, den anderen zu verbinden", krächzte Bendix mühsam, fassungslos ob dieser offensichtlichen Dummheit. "Außerdem haben wir den wahren Mörder ja schon gefangen!"
Hauptmann Hermanis präsentierte sich als ein echtes Prachtexemplar der Gattung verblendeter Stadtwächter und grunzte: "Sicher sein Komplize. Was diese stümperhaften Verbände angeht: Reiner Täuschungsversuch, das sieht doch jeder. Und jetzt genug geschwätzt, sonst leistet ihr ihm Gesellschaft."

Bendix und Baldowan standen fassungslos an der Häuserwand und mußten mit ansehen, wie die Stadtwache mit Rainald, seinem vermeintlichen Komplizen, den sie selbst gefasst hatten und der Leiche abzog. Lediglich einer der jüngeren Soldaten schien sich sichtlich unwohl zu fühlen und wackelte unbehaglich mit dem Kopf. Baldowan murmelte leise: "Soll ich sie rösten?" und hob blitzschnell den dicken Zeigefinger, an dem einige Weinflecken prangten. "Hör auf, Dummkopf", schrie Bendix und schlug den Finger in letzter Sekunde nach oben, so dass sich der kraftvolle Feuerstrahl im dunklen Nachthimmel verlor. "Morgen wird sich das sicher ganz schnell klären lassen, da bin ich sicher."
Eine Gasse weiter starrte ein Trunkenbold verwundert nach oben auf den orange-roten Strahl und blickte dann kopfschüttelnd auf das Etikett seiner Schnapsflasche....

Baldowan wandte sich an zwei Stadtwächter, die für den Rest der Nacht vor dem Tor des Lagerhauses Posten bezogen hatten. "Hat euer Hauptmann Hermanis den Besitzer verständigt und das Lager überprüft?" Während der eine Wachtposten, ein jüngerer, fast bartloser Schnösel wortlos das Kinn in den nebligen Nachthimmel reckte, schien es der zweite nicht ganz so genau zu nehmen. "Ihr wart bei Seggels Festnahme dabei, oder?" Baldowan nickte und dachte kurz an eben dieses Ereignis zurück, das fast in einem Desaster sein Ende gefunden hätte. Sie hatten lediglich den gerissenen Anwalt Sebastian Seggel festsetzen sollen, dabei aber nicht an seinen Komplizen, den legendären Feuerteufel Zlokit, gedacht. Zlokit hatte dann im Angesicht der drohenden Festnahme begonnen, in einem der besseren nevongardischen Restaurants mit gefährlichen Haftfeuergranaten um sich zu werfen. Glücklicherweise hatte er dabei niemanden getroffen. Baldowan schauderte. Feuer sollte nur in kundige Hände gelangen, dachte er bei sich und blickte stolz auf seine eigenen Pranken hinunter.

Der zweite Wächter strich sich über das Kinn und wirkte unentschlossen, was er tun sollte, denn immerhin genossen Baldowan und Bendix, ebenso wie auch der festgenommene Rainald, in der Stadt nicht unbeträchtliches Ansehen. "Vielleicht sollte man das Lager zur Sicherheit doch sofort untersuchen, obwohl unser geschätzter Hauptmann das nicht für notwendig hielt..." Vom Kinn seines jüngeren Partners tropfte ein glänzender Schweißtropfen, als Baldowan geistesabwesend seine Fingerspitze massierte und dabei den jungen Soldaten mit rot geäderten Augen fixierte. Bendix machte der Situation ein Ende, indem er den beiden Stadtwächtern leise seufzend 10 Silbertaler in die Hand zählte und ihnen anschließend eine gute Kneipe ganz in der Nähe empfahl. Der zweite Wächter, dessen gefurchtes, narbiges Gesicht in Verbindung mit seiner knotigen Nase sowohl auf Erfahrung im Kampf als auch in Kneipen hindeutete, lächelte zufrieden und tippte sich grüßend an den Helm. Mit dieser Lösung war beiden Seiten am Besten geholfen, da war er sich sicher.

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