Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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4. Kapitel: Dunkle Geheimnisse

An die Hausmauer gepresst hielt sich Sirion an den Ranken eines gigantischen Efeus fest, der das rauhe Fachwerk verdeckte. Er versuchte vorsichtig, durch das Fenster zu spähen, hinter dem er Hubertus von Grünberg auf Abwegen zu ertappen hoffte. Um noch näher heranzukommen, musste er wohl oder übel ein gewisses Risiko in Kauf nehmen, da der Efeu zum Fenster hin weniger dicht wucherte. Schließlich gelang es ihm, nahe des Fensterladens einen vergleichsweise sicheren Stand zu finden und vorsichtig durch den Spalt zwischen Laden und Wand in das Zimmer zu spähen. Vor ihm lag völliges Dunkel, zudem spiegelte das Fenster im Mondlicht. Der Jäger ärgerte sich, über den Auftrag, über von Grünberg und nicht zuletzt über sich selbst. Statt das bei Blaudorn verdiente Geld zu genießen und sich im „Abendstern“ verwöhnen zu lassen, hing er hier mitten in der Nacht am Fenster eines möglichen Liebesnestes und versuchte, einen nichtsnutzigen Ratsherren in flagranti zu ertappen.
Eigentlich hätte er vorgezogen, dem Pärchen in das Haus zu folgen und so die Kletterpartie zu vermeiden, jedoch hatten sich die Türschlösser als ausgesprochen widerstandsfähig erwiesen, an Vorder- und Hintertüre gleichermaßen, so dass ihm keine andere Möglichkeit übrig geblieben war. Was trieben die beiden im Hause? Licht konnte er noch immer nirgends erkennen und langsam taten ihm die Finger weh. Aus reinem Pflichtbewußtsein beschloß er, noch bis 100 zu zählen und erst dann seinen unbequemen Aussichtsposten zu verlassen.

Als er bei 83 angelangt war, flammte hinter dem Fenster zunächst ein kleiner Funke und anschließend eine Kerze auf. Sirion spähte durch den Spalt zwischen Fensterladen und Wand und konnte beobachten, wie der ehrwürdige Ratsherr von Grünberg sich auf ausgefallene Art und Weise mit der seltsamen Prostituierten amüsierte. Angewidert wandte Sirion sich ab. Zwar hatte er seinen Beweis, aber die menschlichen Paarungsgewohnheiten fand er immer wieder aufs neue abstoßend. Leise glitt er die Ranken hinab und wurde von Twister mit einem erleichterten Jaulen wieder auf der Strasse empfangen.

Gut gelaunt machte er sich auf den Weg zum „Abendstern“ und dachte zufrieden an die Prämie, die er in Kürze würde einstreichen können. Rätselhaft war allerdings diese Frau. Irgendetwas an ihr machte ihn stutzig, allerdings war er sich nicht sicher, was es war. Einem Impuls nachgebend drehte er um und duckte sich Nahe des fraglichen Hauses in einen dunklen Winkel, wo er mit den Schatten verschmolz. Er hoffte bloß, dass der Ratsherr sein bizarres Stelldichein bald zu Ende bringen würde.
Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, doch schließlich verließen die beiden kurz nacheinander das efeubewachsene Haus, das im Dunkel der Nacht fast geisterhaft wirkte. Die beiden trennten sich nach einer kurzen Abschiedsszene und verschwanden in der düsteren Nacht. Sirion überlegte. Der Ratsherr würde sicher zur „Güldenen Glocke“ gehen, um dort seine Amtstracht anzulegen. Doch warum begleitete ihn die Prostituierte nicht?

Der kleine Jäger huschte verstohlen hinter der Liebesdienerin her, die nun wieder ihr schwarzes, enges Kostüm trug. Zu seiner Überraschung war sie ausgesprochen wachsam und erwies sich trotz der Dunkelheit als aufmerksame Zielperson. Sirion mußte sein ganzes Können aufbieten, um nicht entdeckt zu werden oder „abzubrennen“, wie man unter Ermittlern zu sagen pflegte. Trotzdem war er sich nicht ganz sicher, ob die schwarzgekleidete Unbekannte ihn eventuell doch bemerkt hatte. Sie bewegte sich zügig in Richtung Gildenmarkt und verschwand schließlich in einem unscheinbaren Wohnhaus. Die Prostituierte wohnte also in einer ganz normalen Mittelklassewohnung in der Oberstadt. Für diese Erkenntnis hätte er sich nicht die halbe Nacht um die Ohren schlagen müssen. Verärgert machte er sich endgültig auf den Weg zu seinem Quartier. Unbewußt lenkte er seine Schritte auf dem Heimweg am Hause der von Grünbergs vorbei, das unbeleuchtet am Rande des Gildenmarktes lag.
Plötzlich ließ ihn eine Bewegung zusammenzucken. Hinter ihm tauchte eine Frau aus dem Schatten auf, deren zielstrebige Bewegungen ihm bekannt vorkamen. Besser, wenn ich hier nicht gesehen werde, dachte er und schob sich flach an die Hauswand gepresst hinter einen Mauervorsprung. Die Frau kam näher und näher, schaute sich jedoch nicht um. Sie trug hochwertige Patrizierkleidung, die zu ihren eleganten Bewegungen passte, einzig ihr Haar blieb unter einer Kapuze verborgen. Sirion erstarrte in seinem dürftigen Versteck und betete stumm, dass ihn sein Glück noch nicht verlassen würde. Die Unbekannte verschwand im Dunkel der Nacht und Sirion machte sich auf, seinen Geschäften nachzugehen.

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