Doch er entschied sich, sein Glück auf die Probe zu stellen und seinem Ziel zu folgen. Er befahl seinem Hund, vor dieser Pforte zu warten und schob sich durch die Türe, die glücklicherweise nur angelehnt war. Er betrat einen schmalen Gang, der von wenigen Fackeln spärlich erleuchtet wurde und ziemlich genau in Richtung Nachtmarkt führte. Sirion sah nichts von Hubertus, hörte aber seine Schritte vor sich. Nach einigen Metern erreichte der Jäger einen kleinen Platz, der zum verrufenen Nachtmarkt gehörte. Direkt gegenüber sah er den Eingang zu einem Lokal – der „Güldenen Glocke“. Bevor er sich überlegen konnte, was nun am Besten zu tun sei, trat von Grünberg wieder aus der Tür.
Allerdings nicht allein! Er war nun in Begleitung einer zierlichen, drahtigen Frau, hatte seine offizielle Ratsherrenkleidung gegen unauffällige Händlerkleidung getauscht und strebte auf den schmalen Durchgang zu, in dem Sirion hockte. Der Jäger zog sich lautlos in den Gang zurück, um unerkannt zu bleiben, als er ein leises Knarren wahrnahm.
Die Pforte, durch die er gekommen war, öffnete sich langsam. Er saß in der Falle, schließlich wollte er hier keinesfalls gesehen werden. Hektisch flogen seine Blicke über die glatten Wände. Keine Nische, kein Vorsprung und keinerlei Versteck. Sirion zögerte kurz, blickte in letzter Sekunde nach oben und entdeckte seine Chance. Über ihm hatte die Decke des Ganges eine schmale Aussparung, möglicherweise gerade groß genug für seinen schlanken Körper. Sirion klammerte sich mit seinen sehnigen Fingern an einigen rauhen Vorsprüngen fest und kletterte schwungvoll die Wand hinauf, um sich dann lang ausgestreckt unter der Decke in der Nische zu verstecken. Leise atmete er durch. Er hätte keine Sekunde länger zögern dürfen, sonst wäre er entdeckt worden und hätte zumindestens einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Unter ihm, nicht mehr als eine Manneslänge entfernt, sah er Hubertus von Grünberg in Begleitung der Dame aus der „Güldenen Glocke“. Aus der anderen Richtung trat nun eine weitere Gestalt dazu, die sich flüsternd mit den beiden unterhielt.
Sirions Muskeln zitterten vor Anstrengung, während er versuchte, sich laut- und bewegungslos unter der Decke zu halten. Um sich abzulenken, lauschte er auf das Gespräch der drei Personen unter ihm, konnte allerdings nur feststellen, dass sie sich kennen mussten. Im Gesicht des kleinen Jägers bildeten sich Schweißtröpfchen, die sich an der Nasenspitze zu einem großen Tropfen sammelten, der jeden Moment zu fallen drohte. Verzweifelt hoffte Sirion, dass von Grünberg die Unterhaltung bald beenden würde. Mit Händen und Füssen unter größter Anstrengung zwischen den Wänden des Ganges festgekeilt musste er zusehen, wie sich der Tropfen an seiner Nase schließlich löste und auf die Gestalten unter ihm zufiel.
In buchstäblich allerletzter Sekunde drehten sie sich um und gingen ihrer Wege. Sirion atmete auf, wartete noch einen Moment, bis er die äußere Pforte zuschlagen hörte und ließ sich dann katzengleich nach unten fallen.
Draussen erwartete ihn Twister besorgt jaulend und begann sofort, in Richtung Oberstadt zu laufen. Der Jäger folgte seinem Hund und gestattete sich, einen Moment lang leise über die Unannehmlichkeiten des Stadtlebens zu fluchen. Vor ihnen kamen von Grünberg und seine Begleiterin wieder in Sicht. Der Ratsherr schien sich jetzt sicherer zu fühlen, jedenfalls blickte er sich kaum noch um, sondern konzentrierte sich ganz auf die Unterhaltung mit der Dame. Irgendetwas an der Frau schien Sirion seltsam. Sie trug ein enges schwarzes Lederkostüm, hatte schwarz-blaue Haare und trug dazu hohe Stiefel. Nicht ungewöhnlich für eine Prostituierte vom Nachtmarkt, allerdings bewegte sie sich mit einer Geschmeidigkeit und Eleganz, die nicht so recht zu ihrem Beruf passen wollte. Nachdenklich folgte Sirion den beiden bis zu einem großen, aber leicht verfallenen Haus in einer Seitenstrasse nahe des Tempelmarktes.
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