Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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5. Kapitel: Enthüllungen

Sirion saß auf der Terrasse des „Goldenen Herbstes“ und wartete auf seine Auftraggeberin Milena von Grünberg. Seine Blicke suchten kurz Kontakt mit seinem Freund Bendix, der sich zwei Tische weiter hinter der „Gomdischen Postille“ versteckte. Sirion pflegte zu solchen Anlässen grundsätzlich jemanden mitzunehmen, der ihm im Notfall Deckung geben konnte – nur allzu viele Auftraggeber vergaßen im entscheidenden Moment die guten Manieren. Bendix zwinkerte zuversichtlich, nahm einen Schluck Tee und vertiefte sich wieder in seiner Zeitung.

Eigentlich hätte Sirion lieber den skrupellosen Rainald oder den kräftigen Paladin Andrej in der Nähe gewußt, doch der Paladin hatte wegen eines dringenden Ordensauftrages Nevongard kurzfristig verlassen müssen. Rainald hatte er genau wie den Magier Baldowan nicht finden können, obwohl er in zahlreichen üblen Spelunken gesucht hatte. Nun ja. Bendix hatte in letzter Zeit einige Zähigkeit unter Beweis gestellt.

Sirion nahm einen tiefen Zug von seinem Wein und beobachtete das Treiben auf dem Markt, als ihn die schöne Stimme der Milena von Grünberg in die Gegenwart zurückholte. Sie setzte sich zu ihm und lächelte gewinnend. „Ich hoffe, Ihr wart erfolgreich und konntet meinen Mann bei seinen Tändeleien überführen?“ „Oh, sicher. Das war kein großes Problem. Wollt ihr hören, was er, nun, getrieben hat?“ Angewidert verzog die schöne blonde Halbelfin den wohlgeformten Mund. „Natürlich nicht! Was denkt ihr von mir! Sobald ihr vor meinem Anwalt und dem Richter ausgesagt habt, können wir diese... widerliche Geschichte zum Abschluß bringen!“
Sirion zog eine schwarze Perücke aus dem Cape und warf sie auf den Tisch. „Natürlich wollt ihr nicht wissen, was er getrieben hat, schließlich wart ihr selbst dabei, elende Heiratsschwindlerin!“ Milena erbleichte und verlor kurz die Fassung. „Welch haltlose Anschuldigung! Was ist das für eine Perücke? Was soll dieses Theater?“
„Ihr selbst habt Euren Ehemann in dieser Maske verführt. Zugegeben, ihr habt Euch sehr geschickt angestellt und mit dieser Perücke, dicker Schminke und der, nun, wie soll ich sagen, Lederwäsche, wart ihr kaum zu erkennen. Aber ich habe Euren Schlupfwinkel gefunden, in dem ihr Eure Maskerade nach dem Stelldichein versteckt habt. Meine Aussage sollte lediglich den angeblichen Ehebruch vor Gericht beweisen, ist es nicht so?“
Sirion dachte kurz an die vergangene Nacht zurück. Nachdem er in der Nähe des von Grünbergschen Hauses die unbekannte Frau gesehen hatte, war er zu der Wohnung zurückgelaufen und hatte dort entgegen seiner Prinzipien die Wohnungstür geknackt. In der Wohnung hatte er dann die gesamte Bekleidung der vermeintlichen Prostituierten gefunden, dazu ein beeindruckendes Waffenarsenal und einige verschiedene Giftphiolen.

Die Schultern der Milena von Grünberg sackten resigniert nach unten. „Ich habe Euch unterschätzt, aber ich brauchte jemanden von untadeligem Leumund, dessen Aussage auch gegen einen Ratsherren Bestand haben kann. Glaubt ihr, ich hätte diesen Widerling aus freien Stücken geheiratet?“ Mit diesen Worten schob sie sich näher an Sirion heran und strich mit ihrer Hand über sein Bein. „Bitte helft mir, es soll Euer Schaden nicht sein. Wir... wir könnten reich sein!“ Sie schob sich dichter an ihn heran und lächelte ihn an. Sirion versuchte sich zu entspannen und sagte: „Nein, so leid es mir tut. Hiermit verhafte ich Euch wegen versuchten Heiratsschwindels und wegen Betruges!“
Milenas Züge verhärteten sich kurz und sie riß ihr Stilett aus dem Umhang, um es Sirion kraftvoll zwischen die Rippen zu stoßen. Der kleine Jäger, dessen Faust sich schon vorher unauffällig um den Griff seines Jagdmessers geschlossen hatte, parierte den raffinierten Stoß mit Mühe und konnte seiner ehemaligen Auftraggeberin die vergiftete Waffe aus der Hand schlagen. Milena entschloß sich zur Flucht und sprintete durch die Tischreihen davon. Dem überraschten Bendix gelang es nicht, sie zu stoppen – Milena riß einen Dolch aus einem versteckten Halfter und rammte ihn dem Freihändler, der verletzt zurücktaumelte, tief in die Schulter.

Nun legte Sirion seine Zurückhaltung endgültig ab. Bis zuletzt war er nicht sicher gewesen, ob Milena tatsächlich ein Doppelleben geführt hatte, doch dieser Auftritt beseitigte seine Zweifel endgültig. Er zog seinen Elfenbogen unter dem Tisch hervor und legte einen seiner gefiederten Pfeile auf die Sehne. Mit ruhigen, sicheren Bewegungen visierte er die fliehende Milena an und ließ das Geschoß von der Sehne sausen. Der Pfeil sauste von der Sehne und drang der Fliehenden tief ins Bein. Sie strauchelte und brach blutend auf dem Pflaster des Gildenmarktes zusammen. Der kleine Jäger rannte zu der Verletzten hin, die von zahlreichen Passanten begafft wurde. Bevor Sirion bei ihr angelangt war, zog sie eine kleine Pistole aus der Innentasche, setzte sie an die Schläfe und drückte ab, nachdem sie Sirion einen letzten vorwurfsvollen Blick zugeworfen hatte.

Sirion kniete neben der schönen Halbelfin nieder. „Na los, holt schon die Stadtwache!“ fuhr er die Gaffer an. Dann beugte er sich traurig über die Tote und durchsuchte ihre Bekleidung sorgfältig. Weitere Waffen oder Dokumente fand er nicht, allerdings entnahm er ihrer Geldbörse 25 Gulden – abgemacht ist abgemacht...

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