Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Er wartete, bis der Diener aus dem Laden gekommen war und den Hauseingang passierte. Dann trat er mit der geübten Lautlosigkeit des Jägers hinter sein Opfer und drückte ihm das Jagdmesser an die Kehle. „Keinen Laut!“ Der Bedienstete erstarrte sichtlich schockiert und wimmerte leise vor sich hin. „Du hast nur eine Chance, deine Arbeit zu behalten: Erzähle mir etwas über Deinen Herrn!“
Zunächst zögerte der Diener, doch als Sirion widerstrebend den Druck der Messerspitze erhöhte, begann sein Opfer zu sprechen. „Tut mir nichts! Er ist so geizig beim Lohn, nur deshalb habe ich einige Gulden unterschlagen.“ „Das interessiert mich nicht. Hat Grünberg irgendwelche Geheimnisse? Und erzähl mir nicht, du währest nicht neugierig!“ Rainald hatte ihm auch erzählt, das wirklich jeder Diener neugierig ist und in den Angelegenheiten seiner Herren schnüffelt. Stockend begann der Diener zu berichten. Ja, gelegentlich würde der Herr ein etwas verruchtes Lokal namens „Güldene Glocke“ am Rande des Nachtmarktes besuchen. Außerdem sei er sehr darauf bedacht, niemanden merken zu lassen, wo er gelegentlich hingehen würde. Diese Information ließ Sirion frohlocken, doch er hakte nach. „Und, wie steht es um sein Eheleben?“ „Aber, Herr, woher soll ich das wissen?“ Sirion hakte drohend nach: „Raus mit der Sprache, denk an Deine Arbeit!“ „Tja, zunächst schien alles gut, doch seit einiger Zeit ist nichts mehr zu hören.“ Der Diener zögerte, fügte dann an: „Das habe ich nur von einem der Mädchen gehört, nicht, dass ich spionieren würde... Bitte, lasst mich gehen und verratet mich nicht!“

Angewidert stieß Sirion den Diener in den Hauseingang, so dass dieser durch die nur angelehnte Tür in das Treppenhaus fiel. Sirion schloß sorgfältig die Tür, zog seine Kleidung zurecht und ging davon. Bis jetzt waren seine Nachforschungen durchaus erfolgreich gewesen. Er beschloß, seine Arbeit bis zum Abend ruhen zu lassen und begab sich zum Ordenshaus des Chevillion, wo er seinen Freund Andrej traf um gemeinsam mit ihm einige Stunden der Waffenübung zu widmen. Mit dem elfischen Langbogen war er schon seit seiner Kindheit sehr geschickt umgegangen, doch nun arbeitete er mit Hilfe des Freundes daran, sich auch im Kampf mit dem Kurzschwert zu verbessern. Nach einigen Kampfrunden setzten sie sich am Rande des Trainingsplatzes nieder, um sich über ihre letzten Erlebnisse auszutauschen. Auch Andrej hatte schon vom Ratsherren von Grünberg gehört und wußte Rainalds Informationen zu ergänzen.

Die Heirat der von Grünbergs vor acht Monaten hatte für einiges Aufsehen gesorgt, weil Milena vorher noch nie in Nevongard gesehen worden war und zudem runde 40 Jahre jünger war als ihr Gemahl. Seltsam, doch in der teilweise sündigen Gesellschaft des Gomdlandes auch nicht völlig ungewöhnlich, wie der ehrwürdige Ordensbruder Andrej hinzufügte. Sirion dankte dem Paladin und machte sich auf den Weg zum Gildenmarkt, um das Haus des Ratsherren im Auge zu behalten. Er fand ein weiteres Restaurant in Sichtweite seines Zieles und bestellte sich zunächst eine Portion der exzellenten Hirschmedaillons, um sich für einen möglicherweise langen Abend zu stärken.

Während er noch bei der Nachspeise war – es gab soldalischen Fruchtquark mit exotischen Früchten – verließ seine Auftraggeberin ihr Haus und bedachte ihn im Vorbeigehen mit einem verschwörerischen Lächeln, das es ihm kalt den Rücken hinablaufen ließ. Doch er musste noch einige Zeit warten, bis Hubertus ebenfalls das Haus verließ. Er trug seine offizielle Ratsherrentracht und schritt zügig aus, allerdings überraschenderweise ohne Begleitung aus seiner Dienerschaft. Sollte er möglicherweise tatsächlich zu einer geheimen Ratsherrensitzung unterwegs sein? Sirion schob seinen Stuhl zurück, warf einige Taler auf den Tisch und heftete sich lautlos an die Fersen des Ratsherren, der sich gelegentlich nervös umschaute. Die einbrechende Dunkelheit erleichterte Sirion seine Aufgabe, Hubertus unauffällig im Auge zu behalten.
Zunächst schien der Ratsherr in Richtung des Hafens zu gehen, doch spätestens, als er einen Häuserblock gleich zwei Mal in Folge umrundete und sich dabei mehrmals umschaute, wußte der Jäger, dass an diesem Abend irgend etwas passieren würde. Jetzt wurde die Verfolgung mühsamer, weil von Grünberg nervös um sich blickte. Mehrmals konnte sich Sirion erst in letzter Sekunde hinter eine Ecke drücken und einmal war er sogar gezwungen, sich schleunigst in einer öffentlichen Abortkabine zu verstecken. Widerlich! Twister jaulte vorwurfsvoll, verstummte aber sofort, als Sirion ihm die Hand über die Schnautze legte.

Schließlich schien von Grünberg aber zufrieden und steuerte tatsächlich Richtung Nachtmarkt. Sirion nickte zufrieden, konnte er doch hoffen, seinen Auftrag schon heute zu Ende zu bringen. Doch etwas ließ ihn grübeln. Der Nachtmarkt Nevongards war normalerweise nur am Tage geöffnet und wurde nach Einbruch der Dunkelheit gewöhnlich aus Sicherheitsgründen verschlossen. Doch schon kurz darauf hatte er des Rätsels Lösung vor Augen: Hubertus von Grünberg schaute sich prüfend um, zog verstohlen seinen Ratsherrenhut in die Stirn und schob sich durch eine gut verborgene Pforte nahe eines der Eingänge zum Nachtmarkt. Sirion zögerte. Wenn er Hubertus durch diese Türe folgen würde, mußte er befürchten, entdeckt zu werden.

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