Hier gab es neben den üblichen gestohlenen Waren wie Waffen, Schmuck und einigen magischen Artefakten auch einige bourbonische Spezialitäten, insbesondere geschmuggelte Weine zu erwerben.
Zwar hatte Rainald dem bourbonischen Stand länger keinen Besuch mehr abgestattet, doch hoffte er, von seinem Kontaktmann Jean einige wertvolle Hinweise auf den Eindringling zu erhalten. Jean war Männern mehr zugetan als Frauen und schuldete Rainald noch einen Gefallen, weil Rainald seine Neigungen nicht an die Ratsherren oder gar die Sonnenkirche hatte durchsickern lassen....
Rainald näherte sich dem Stand, der einem normalen Marktstand ähnelte und auf dem einige Waffen, zahlreiche Schmuckstücke und unzählige Flaschen Wein zum Kauf feilgeboten wurden. Hinter dem Stand wartete eine junge Frau, deren strahlende Augen Rainald sofort von der Umgebung ablenkten – eine äußerst gefährliche Eigenschaft! Mindestens ebenso auffällig war eine schwarze Tätowierung, die sie an der linken Wange trug. Die Frau war von kleinem Wuchs, zierlich gebaut und mit einem einfachen, dunklen Gewand bekleidet, dass sie mit einem ledernen Gürtel geschürzt hatte. Ihre dunklen Haare waren nicht bedeckt und wellten sich bis auf ihren Rücken hinab.
Rainald, der auch nach mittlerweile 20 Jahren als Abenteurer nicht aus seiner Haut konnte, hob galant seine Kappe vom grau melierten Haar und grüßte freundlich und in fließendem bourbonisch. “Bonjour, Mademoiselle! Ich suchte eigentlich... meinen alten Freund Jean. Könntet Ihr mir wohl behilflich sein? Wenn ich mir erlauben dürfte anzufügen, ihr seht bezaubernd aus!“ Einen bourbonischen Edelmann imitierend beugte sich Rainald, lüstern wie immer, über die Hand der jungen Frau, um sie mit einem Handkuss zu erfreuen oder zu belästigen, je nach Standpunkt. Aus der Nähe erblickte er feingliedrige, geschickte Finger, die ebenfalls von dezenten Tätowierungen geschmückt wurden.
„Euer Charme betört mich ungemein, Väterchen“, versetzte die junge Frau mit einem Seitenblick auf Rainalds graumelierte Haare. „Jean ist nicht hier, kommt später wieder.“ Rainalds Blicke wanderten blitzschnell über die Auslagen, die an diesem Stand den Käufern harrten. Anschließend taxierte er die junge Frau, die überaus schlank und beweglich wirkte. Einem spontanen Entschluss folgend blickte er die Frau mit seinem freundlichsten Lächeln an: „Nun, wenn Jean auch zur Zeit nicht hier ist, will ich die Gelegenheit nutzen, eine Flasche von dem 57er Lucullaise dort hinten zu erwerben – dieser liebliche Tropfen ist für ein Picknick geeignet wie kein zweiter, was meint Ihr?“ „Selbstverständlich, Messieur. Ich hole sofort eine Flasche davon.“
Während die junge Frau in den hinteren Teil des Standes ging, betrachtete Rainald versonnen die Auslage des Stands. Ohne Mühe konnte er geschmuggelte Waren im Wert von einigen Tausend Gulden identifizieren, die nur mittels Bestechung eines Zollbeamten in die Stadt gelangt sein konnten. Er zuckte die Achseln. Korruption würde es immer geben, und er selbst war Freiberufler....
„Messieur, wenn ich zu dem 57er Lucullaise diesen gut abgelagerten Käse empfehlen dürfte?“ Die freundliche Stimme der Verkäuferin riss Rainald aus seinen Gedanken. „Wie bitte? Ja, selbstverständlich, das dürft ihr!“ Mit bedächtigen, vorsichtigen Schritten, die nicht zu ihrem Alter und ihren sonstigen Bewegungen passten, kam die junge Frau zurück nach vorn, Rainalds blick vermeidend. Der stockende Gang deutete auf Schmerzen hin, vielleicht auf eine Verletzung. Eine Verletzung der Hüfte würde die bedächtigen Bewegungen erklären, eine Verletzung mit dem Langmesser womöglich? Stand sein nächtlicher Gegner womöglich bereits vor ihm?
Rainalds Augen wurden schmal, als er mit einem eleganten Satz über die Theke setzte, und der verdutzten Frau sein Kurzschwert an die Kehle setzen wollte. Doch bevor es dazu kam, verlor sich sein Blick in den strahlend hellen blauen Augen der jungen Frau...
|