Am Platz „Zum albionischen Frieden“ verharrte Rainald kurz am öffentlichen Brunnen, wusch sich das verschwitzte Gesicht und schaute hinauf zu den dunklen Fensterlöchern seiner Wohnung in der obersten Etage. Doch halt! Flackerte dort nicht Licht? Er schüttelte den Kopf, um die Schleier zu vertreiben, die vom reichlichen Genuss bourbonischen Rotweins herrührten und fuhr sich über die Augen. Nein, die Fenster waren und blieben stockdunkel. Rainald wankte, vom Brunnenwasser ein wenig erfrischt, weiter zu seinem Wohnhaus und dort das Treppenhaus mit den hölzernen Stiegen hinauf. Jahrelange Vorsicht und Routine als Ermittler, Leibwächter und gelegentlich auch freischaffender Kopfgeldjäger hatten katzenhafte und lautlose Bewegungen in Fleisch und Blut übergehen lassen und so stand Rainald wenig später in der vierten Etage und schickte sich an, seine Wohnungstür zu öffnen.
Doch etwas ließ ihn verharren und im letzten Moment innehalten, jedoch kein Geräusch, sondern ein Gefühl, eine leise Vorahnung vielmehr. Leise ließ er sich auf ein Knie sinken und beugte seinen Kopf dem Alkohol trotzend, zum Boden hinab. Unter der Tür hindurch spähte Rainald in seine Wohnung. Stockdunkel war es, wie es sein sollte. Doch dann sah er etwas, einen leichten Lichtschein wie von einer Blendlaterne etwa. Zorn kochte in ihm hoch. Ein Einbrecher, ein Fassadenkletterer womöglich, der ihm, Rainald, seine Reichtümer zu stehlen gedachte. Lautlose Flüche in zahlreichen Sprachen ausstoßend erhob sich Rainald und nahm sich – auch das hatten ihn die Zeit und zahlreiche Verwundungen gelehrt – einen Moment Zeit, um die Situation zu analysieren.
Seine übliche schwere Bewaffnung in Form von zwei magischen Kurzschwertern bester Qualität lag in der Wohnung, hoffentlich in seiner Truhe ausreichend durch Schlösser und Magie gesichert. Blaudorn hatte seine Gäste gebeten, ohne Waffen zum Empfang zu erscheinen und so hatte Rainald sich notgedrungen gefügt. Erneut fluchte er lautlos und tastete seine Taschen ab – ganz wehrlos war er natürlich nicht, dafür hatte er gesorgt.
Unendlich vorsichtig öffnete der routinierte Straßenkämpfer seine eigene Wohnungstür und spähte durch den breiter werdenden Spalt. Seine Wohnung bestand aus einem langgestreckten Flur, von dem eine Küche und zwei Zimmer abgingen, dazu ein Abtritt und als einziger Luxus eine kleine Dachterrasse. Am Ende des Flurs beugte sich eine schwarz gekleidete, knabenhafte Silhouette über eine von Rainalds Truhen, in der er einige wertvolle, alte Folianten lagerte.
Die Gestalt bewegte sich ebenso lautlos wie Rainald und schien komplett in ein eng anliegendes Kostüm aus Spinnenseide gehüllt zu sein, das einen gewissen Schutz gegen Waffen und besonders Schusswaffen bieten würde. Rainald überprüfte den Flur auf Fallen – geübte Einbrecher, und um einen solchen schien es sich bei dem kecken Jüngling zu handeln – pflegten sich gegen unerwartete Heimkehrer zu schützen. Und richtig – unauffällig in einer Ritze zwischen den Dielen verborgen wartete ein Stab – ein Schwebestab vermutlich – darauf, ausgelöst zu werden. Der unglückliche Wohnungsbesitzer würde in so einem Fall mehrere Minuten lang hilflos und schwerelos in der Luft schweben. Rainald gestattete sich ein fast lautloses, hämisches Kichern. Den Jüngling würde er sich kaufen, so viel war klar!
Doch auch die routinierteste Leber konnte den Einfluss des Alkohols nicht völlig verhindern: Mit einem eleganten Satz sprang Rainald über den Stab hinweg, ohne ihn auszulösen, strauchelte jedoch bei der Landung und griff deshalb an den Wurfbeilen vorbei, die dekorativ an der Wand des Flures hingen. Er fluchte lauthals und rappelte sich hoch, während der Jüngling blitzartig einen Beutel an sich riss und gleichzeitig eine ausgesprochen ausgefallene Waffe einsetzte.
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