Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Im Kontor des Händlers beugte sich der vermeintliche Tagelöhner über eines der Fässer und schnupperte prüfend. "Bendix, bist du sicher, dass dieses Ale in Ordnung ist? Es riecht und schmeckt, nun ja , merkwürdig..." Der Händler legte seine Pergamentrolle zur Seite, auf der er die Lieferung in sorgfältigen Lettern eingetragen hatte und schlenderte zu dem geöffneten Fass hinüber. Er nahm zwei lederne Becher von einem kleinen, hölzernen Regal an der Wand und füllte sie aus dem Fass. "Zum Wohl, Rainald. Auf meinen Handel!" Rainald, der selten ein Bier verschmähte, nahm das Gefäß entgegen und leerte es dann in einem schnellen Zug. Nun ja, bei der Nachmittagshitze löschte es den Durst hervorragend, aber der Geschmack blieb weit hinter dem des Sandenhaffer Biers zurück, dass für gewöhnlich an Nevongards Theken gezapft wurde. Bendix dagegen ließ die bräuliche, lauwarme Flüssigkeit mit viel Genuß die ausgetrocknete Kehle hinunterlaufen und rülpste wohlig. "Das ist ein wahres albionisches Ale!"
Rainald schüttelte verächtlich den Kopf und spülte sich den Mund mit einem Becher Wasser aus. "Was meinst du, Bendix, sollten wir nicht Feierabend machen? Heute Abend ist ein schöner Hundekampf in den `Säbeln´ angesetzt." Bendix schüttelte grinsend den Kopf. "Du schuldest mir noch drei volle Arbeitstage, und Feierabend ist erst bei Sonnenuntergang. Komm, wir schaffen diese Fässer noch ordentlich ins Lager." Rainald stöhnte vernehmlich, fügte sich aber ins unvermeidbare. Er war schließlich selbst Schuld. Vor einigen Tagen hatte er mit Bendix und ihrem gemeinsamen Freund, dem Trollmagier Baldowan Flammenfaust, in einer üblen Kaschemme Kazägge gespielt und überraschend hoch verloren. Bendix hatte vorher behauptet, noch nie Kazägge gespielt zu haben (In Albion pflegte man merkwürdige Spiele zu spielen, bei denen es darum ging, Holzkugeln mit dem Hammer durch kleine Tore zu schlagen!) und entsprechend hatte der Abend dann auch begonnen.
Bendix hatte immer ein wenig verloren, und noch ein wenig, und noch ein wenig, bis Rainald und Baldowan erstens ziemlich siegessicher und zweitens reichlich angetrunken gewesen waren. In den letzten Spielen des Tages hatte der junge Albioner dann eine sagenhafte Glückssträhne gehabt und seine Freunde quasi bis auf das sprichwörtliche letzte Hemd ausgenommen... Am Ende war Rainald gezwungen gewesen, seine Spielschulden in Form von Lagerarbeit bei Bendix abzuarbeiten. Baldowan war es nicht besser ergangen, jedoch hatte er sich mit dem Versprechen aus der Affäre ziehen können, für Bendix gute Kontakte zur örtlichen Magiergilde herzustellen, deren Vorsteher Vishnu für seinen großen Durst bekannt war. Insgeheim vermutete Rainald ja, dass Bendix eigentlich ein recht gewiefter Kartenspieler war und von Anfang an beabsichtigt hatte, seine Freunde ein wenig über den Tisch zu ziehen. Gewonnen hatte er am Ende: Baldowans gute Kontakte und Rainalds Arbeitskraft... Nun ja, wenn Rainald seinem Freund beim Aufbau seines neuen Kontors helfen konnte, würde er auch einige Tage Arbeit ertragen können...

Später, nachdem Bendix endlich eingewilligt hatte, die Arbeit vorerst zu beenden, spazierten die beiden über den Gildenmarkt und bogen von dort in eine der teureren Gassen ab. Hier, in bevorzugter Lage, verbarg sich der Gaunertreff "Savoir Vivre" hinter der ehrenwerten Fassade einer gutbürgerlichen Speisewirtschaft. Eingeweihte wussten, dass der Besitzer Malice, ein ehemaliger Meisterdieb aus Bourbon, den größten Teil seines Geldes mit dem geschickten An- und Verkauf von Informationen aller Art einnahm. Kürzlich hatte er geholfen, Rainalds Unschuld in einem Mordfall zu beweisen. Bendix vermutete allerdings, dass Malice dabei vor allem seine eigenen Interessen im Handel mit Rauschharz hatte waren wollen, der von einer Gruppe aus den Fürstentümern bedroht worden war. Nun gut, eine hübsche Tochter hatte er in jedem Fall...
Die Freunde traten ein und erblickten den Magier Baldowan, der an seinem Lieblingstisch in einer der dunkleren Ecken sass und sich angeregt mit der jungen, blonden Alicia unterhielt. Das Aussehen der beiden hätte kaum einen größeren Kontrast bilden können: Sie war zierlich, drahtig und lebhaft, während er selbst für einen Troll aussergewöhnlich groß und kräftig war. Obwohl die beiden natürlich kein Paar waren - das war für Menschin und Troll einfach undenkbar - schienen sie sich hervorragend zu verstehen, seit sie einige üble Kämpfe miteinander durchgestanden hatten. Rainald und Bendix traten an den Tisch und ließen sich auf die freien Stühle sinken, um sich nach dem langen Arbeitstag ein wenig zu entspannen. Insbesondere Rainalds Muskeln schmerzten gewaltig, nachdem er nun schon mehrere Tage damit verbracht hatte, schwere Säcke und sperrige Fässer in hohe Regale zu stemmen.

Nachdem sie den neuesten Klatsch ausgetauscht hatten, wandte sich Bendix an Alicia: "Sag mir bitte, Alicia, dein Vater ist zu sprechen, ist er nicht?" Alicia bemühte sich, nicht über den merkwürdigen Satzbau des Albioners zu kichern und nickte. "Natürlich, warum denn nicht? Was willst du von ihm? Gibt es ein neues Abenteuer zu bestehen?" Bei dem letzten Satz war ein unternehmungslustiges Funkeln in ihre blauen Augen getreten. Bendix schüttelte bedauernd den Kopf. "Leider nicht, es sei denn, du willst mir beim Aufbau meines Kontors helfen, willst du?" Alicia schüttelte lachend, aber entschieden den Kopf. "Das ist nichts für mich! Zahlen und Buchstaben, nein, da ziehe ich eine gute Prügelei oder auch einen kleinen Schwertkampf jederzeit vor!" Rainald nickte bekräftigend. Auch er liebte einen guten Strassenkampf über alles und lernte gerade auf die harte Tour, dass er niemals ein ehrbarer Händler werden würde. Allenfalls in der Rolle eines Hehlers konnte er selbst sich vorstellen...

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