Orbis Incognita
Orbis Incognita - Das Rollenspiel
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Milena beugte sich noch weiter zu ihm und flüsterte: „Selbstverständlich würde ich Euch angemessen entlohnen.“ Sirion zögerte, dachte an die Familie von Grünband, die zu den wohlhabendsten Einwohnern Nevongards zählte. Vor seinem inneren Auge sah er einen Frostbogen vor sich, den er erst kürzlich in einem Laden für magische Waffen und Artefakte bewundert hatte, edel und teuer. Während er schon schwach wurde, schob sie ihm einen kleinen, aber prallgefüllten Beutel in den Schoß.
„Das sind 15 Gulden. Bringt mir die Beweise für die Untreue meines Mannes, und ich werde weitere 15 Gulden bezahlen.“ Der kleine Jäger überschlug im Kopf den Preis des begehrten Frostbogens und die Höhe seiner Ersparnisse. „25 gleich und 25 weitere, wenn ich die Beweise habe. Bitte versteht, dass mir solch eine Drecksarbeit nicht liegt.“ Milena lächelte ihn an: „Habt vielen Dank!“ und zählte ihm die fehlenden 10 Gulden in die Hand, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihm entging nicht, dass sie in einer Lasche an der Innenseite ihres Umhangs ein kleines, reich verziertes Stilett trug, dessen Spitze verdächtig dunkel wirkte. War es Blut oder Kontaktgift? In jedem Falle beschloß er, seine schöne Klientin nicht zu unterschätzen.

Sie berichtete ihm detailliert von ihrer Ehe mit dem reichen nevongardischen Ratsherren Hubertus von Grünband und fügte an, dass er am morgigen Abend die Gelegenheit hätte, sie zu betrügen, wenn er denn wolle. Sie selbst werde an einem Empfang für die Damen der oberen Gesellschaft teilnehmen, während Hubertus eine für den späten Abend angesetzte geheime Ratsversammlung erwähnt hatte. Während Sirion noch über das Gesagte nachgrübelte, hauchte sie ihm einen zarten Kuss auf die Wange und bat ihn, in drei Tagen wieder hier im Restaurant zu sitzen.

Sirion lehnte sich zurück und überdachte das Ganze erneut. Wieso war sie ausgerechnet zu ihm gekommen? Sicher, er genoß in Nevongard einiges Ansehen und verfügte auch über die notwendigen Talente, um jemanden zu beschatten. Dennoch hätte sie in der nevongardischen Halbwelt mit Sicherheit jemanden finden können, der diesen schmutzigen kleinen Auftrag liebend gerne für 5 Gulden erledigt hätte. Nach einigem Nachdenken beschloß Sirion, dass es für Milena wahrscheinlich keinen großen Unterschied machen würde, egal ob das Honorar 5, 15 oder 50 Gulden betrug. Er nahm noch einen genießerischen Zug von dem Tee und blickte zu Twister hinab. „Sieht aus, als hätten wir einen neuen Auftrag.“ Twister, der bis dahin faul dösend in der Sonne geruht hatte, öffnete langsam ein Augenlid und schaffte es, Sirion äußerst vorwurfsvoll anzuknurren.

2. Kapitel: Drecksarbeit

Auch wenn Sirion die Aversionen seines Hundes nicht teilte, hatte er nicht vor, sehenden Auges in eine ungemütliche Situation hineinzurennen. Bis zum morgigen Abend blieb ihm noch reichlich Zeit, einige dezente Nachforschungen anzustellen, um einige pikante Details über die Familie von Grünband in Erfahrung zu bringen. Allerdings verabscheute er diese Art von Arbeit, er hasste es, zwielichtigen Gestalten Gerüchte zu entlocken, genauso wenig liebte er es, Ratsherren mit ihren Mätressen in verfänglichen Situationen zu überraschen. So zögerte er seinen Aufbruch zunächst einmal hinaus und genoß den frühen Abend bei einem hervorragenden Essen im „Goldenen Herbst“.
Erst nach Sonnenuntergang machte er sich auf, seinen Freund Rainald aufzusuchen, der sich in der nevongardischen Unterwelt ebenso gut auskannte wie in der hiesigen Politik. Rainald stammte aus Nevongard und hatte sich einen zweifelhaften Ruf als Ermittler, Schläger, Leibwächter und Detektiv aufgebaut. Sicher hätte er es in diesem Gewerbe zu großem Erfolg bringen können, wenn er nicht bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit den Reizen der weiblichen Schönheit erliegen würde. Grinsend stellte sich Sirion die Szene vor, in der Milena den Strassenkämpfer zu engagieren versucht hatte.

Seine gute Laune verging ihm allerdings, als er das Quartier des Freundes erreichte. Die schäbige Herberge lag unweit des Hafens in einer schmalen Nebengasse und hatte schon mal bessere Zeiten gesehen, die allerdings schon länger zurückzuliegen schienen. Sirion betrat die Herberge und wurde von einer jungen Frau begrüßt, die hinter dem Empfangstisch widerwillig in einem Rechnungsbuch blätterte. Als er sich nach Rainald erkundigte, erfuhr er zu seinem Ärger, das dieser vor einiger Zeit mit seinem Kumpel Baldowan losgezogen war, um noch ein oder zwei Absacker zu nehmen. Immerhin hatte die neugierige Frau dem Gespräch der beiden entnehmen können, das sie wohl in die „Letzte Instanz“ im Hafenviertel gehen wollten.
Nur mühsam einen Fluch unterdrückend verließ Sirion die muffige Absteige. Er hätte sich gleich denken können, dass ausgerechnet Baldowan und Rainald kaum vor Mitternacht in ihren Zimmern anzutreffen sein würden, besonders, weil sie nach dem Blaudorn-Auftrag natürlich die Taschen voller Geld hatten. Mürrisch machte er sich auf den Weg zur „Letzten Instanz“, die in einem noch übleren Viertel lag als die schäbige Herberge. Ihm war völlig unbegreiflich, wie man sich hier wohl fühlen konnte. Er sehnte sich nach der Freiheit der Wälder und nach einer schönen Jagdgesellschaft, die einen erfahrenen Jagdmeister wie ihn einstellen würde.

Einige schmierige Gassen weiter erreichte er die „Letzte Instanz“ und freute sich erst einmal, dass er den hiesigen Beutelschneidern hatte entgehen können. Die abfälligen Blicke der menschlichen Gäste ignorierend, betrat Sirion den Schankraum der Kneipe. Neben einer schäbigen, hölzernen Theke gab es zahlreiche ebenso schäbige Tische, die völlig ungeordnet im Raum standen. Wie schon so oft fragte sich Sirion, was Menschen (und Trolle) einer solchen Umgebung abgewinnen konnten. Die Getränke konnten es kaum sein, stellte er mit einem kurzen Blick auf die schmutzigen Bierkrüge hinter dem Schanktisch fest. Mühsam schob er sich an einem dürren Barden vorbei, der für die schlechte Unterhaltung zuständig zu sein schien und suchte nach seinen Freunden. Sie waren nicht zu übersehen. Baldowan und Rainald hatten es sich an einem Ecktisch gemütlich gemacht und standen im Zentrum des allgemeinen Interesses. Baldowan hatte seine blaue Magierrobe achtlos zurückgeschoben und widmete seine ungeteilte Aufmerksamkeit einem gigantischen Krug mit Starkbier, den zu Leeren zur Zeit sein einziges Vorhaben zu sein schien. Ihm gegenüber saß Rainald, der mit zahlreichen Silberstücken hantierte, nebenbei mit der jungen blonden Frau auf seinem Schoß schäkerte und genießerisch eine dunkle Flüssigkeit aus einem riesigen Schwenker schlürfte.
„Was zum Teufel geht denn hier vor?“ fragte Sirion. Rainald schien die Stimme zu erkennen und wandte sich um. Nach einigen Momenten gelang es ihm, die Pupillen auf den kleinen Jäger zu fokussieren. „Ah, Sirion, setzt Dich zu uns! Ich nehme noch Wetten an, wie lange Baldowan für diesen kleinen Becher dort braucht.“ Sirion schätzte den Inhalt des Kruges auf rund 10 Liter und verglich ihn im Geiste mit der Waschschüssel im Hotelzimmer. Beeindruckend. „Spass bei Seite. Ich brauche Deine Hilfe.“ Rainald bedeutete ihm, noch einen Moment zu warten. In diesem Moment setzte Baldowan den Krug an, als ob es eine Teetasse wäre und goß den widerlich stinkenden Inhalt genießerisch in sich hinein.

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